Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung 2006

Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung 2006

Türkei: Militarismus unter Feuer

Ein Aktionsbericht

von BIA News Zentrum

AntimilitaristInnen inszenieren ein traditionelles Touristenprogramm, um die militaristische Politik aufzudecken. Trotz heftigen Regens und noch heftigeren Polizeiübergriffen wird das "Militourismus Festival" durchgeführt, auch wenn es Änderungen gab. Die Aktivisten kritisieren den Staat und den seit 20 Jahren fortdauernden Krieg.

Nach zwei erfolgreichen Veranstaltungen, die kürzlich in Istanbul und Izmir durchgeführt wurden, fand dieses Wochenende das dritte Militourismus Festival in der türkischen Hauptstadt statt. Beteiligt waren AntimilitaristInnen aus verschiedenen Teilen des Landes.

Die jährliche Versammlung, die von türkischen AntimilitaristInnen organisiert wurde, hat das Ziel, die Öffentlichkeit auf die militaristische Politik und deren Symbole aufmerksam zu machen - mit friedlichen und bunten Aktionen wie mit Musik und Tanz, Besuch von Militärsymbolen und Märschen.

Weil die Beteiligung aus Istanbul und Izmir im Vergleich zu den letzten Jahren abgenommen hatte, es heftige Regenfälle gab und sogar noch heftigere Übergriffe durch die Polizei Ankaras, musste es einige Programmänderungen geben, so dass einige "Symbole des Militarismus" nicht besucht werden konnten. Dennoch war die Veranstaltung so bunt wie möglich.

Am Samstag, den 13. Mai kamen morgens etwa 40 AktivistInnen am Bahnhof in Ankara zusammen, um den Tag zu beginnen - wie in den vergangenen Jahren mit einem Programm, "Verweigerer zu grüßen". Die Polizei zog einen starken Ring um die Gruppe herum. In der Nähe standen einige Polizeibusse. Es wurde geunkt, dass mehr Polizisten da seien, als Verweigerer. Es wurde gescherzt, dass "pro Verweigerer ein Polizist und ein Kameramann anwesend ist".

Spielzeuggewehre zerbrochen

Musik mit Tamburins und Akkordeons leitete die erste Presseerklärung ein, die die Bedeutung des Bahnhofes hervorhob. "Dieser Bahnhof spielt eine wichtige Rolle für den Transport der meisten Waffen. Hier patrouilliert die Militärpolizei, um nach Fahnenflüchtlingen zu suchen." (...)
Danach zerbrach die Gruppe Spielzeuggewehre und forderte die Abschaffung der Waffen. Die Gruppe marschierte im Anschluss zum Denkmal für die in Korea gefallenen Soldaten, das auf die Rolle der Türkei und der türkischen Soldaten im Koreakrieg hinweist. Die Polizei forderte die Gruppe auf, keine Plakate oder Transparente zu tragen, so dass die AktivistInnen Slogans gegen Militärdienst und zur Unterstützung der Militärdienstentzieher auf die Kleidung geschrieben hatten: "Verweigere, leiste Widerstand, sag Nein, geh’ nicht zum Militär!", "Wir werden nicht töten, wir werden nicht sterben, wir werden niemandes Soldaten sein!"

Zum Gedenken an die Toten eines sinnlosen Krieges
Als die Gruppe das Denkmal erreichte, wurde sie von der Polizei angehalten und darüber informiert, dass das "Vorlesen einer Presseerklärung an militärischen Einrichtungen" vom Gesetz untersagt sei. Die AktivistInnen widersprachen mit dem Argument, dass ein Denkmal keine militärische Einrichtung sein, sondern öffentlich zugänglich und bestanden darauf, die Erklärung vor dem Denkmal vorzutragen.

In der Erklärung wurde betont, dass das Denkmal ein Symbol für diejenigen sei, die ihr Leben dafür hergaben, dass die Türkei von der NATO aufgenommen worden sei. Alle AntimilitaristInnen wurden dazu aufgerufen, sich für das Ende aller Kriege einzusetzen. Ein Leben ohne Staat und Klassen sei möglich. Nach der Erklärung wurden schwarze Bänder, die "denen gewidmet sind, die in diesem sinnlosen Krieg starben", in verschiedenen Teilen des Parks beim Denkmal hinterlassen.

Krieg, Krieg, wie lange noch? Polizei schützt mit einer Blockade MKEK

Trotz des heftigen Regens setzte die Gruppe ihren Marsch zum Stadtteil Tandogan fort. Es wurden Slogans gerufen, wie "Krieg, Krieg, wie lange noch? Liebt Euch bis zum Tode". Dadurch erreichte sie auch die Aufmerksamkeit der Passanten. Die Gruppe wurde ständig von der Polizei angehalten, die Veranstaltung zu beenden. Das Programm könne nicht wie vorgesehen stattfinden. Aufgrund der Verhandlungen mit der Polizei konnten die AktivistInnen bis zum Gebäude der staatlichen Waffenfabrik, der Industriegesellschaft für Maschinen und Chemie (MKEK), laufen. Vor den Gebäuden hatte die Polizei eine Barrikade errichtet, um die Protestierenden daran zu hindern, hineinzugehen.

An einer Nebentür wurde eine Pressekonferenz abgehalten. Die AntimilitaristInnen stellten heraus, dass 10 Fabriken der Gesellschaft Waffen und Munition herstellen und eine Umstrukturierung der Firma im Jahre 2000 sie direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt hat, statt dem Ministerium für Industrie und Handel.

Die Erklärung benannte die MKEK als "offizielle Produktionsstätte von Klein- und Großwaffen sowie Munition" und ergänzte, dass die Firma auch Waffen exportierte zu einer Zeit, als es weltweit sehr einfach war, Waffen zu erhalten und "sie sogar per Telefon bestellt werden konnten". Sämtliche Details zu den Waffen und Preisen lassen sich über die Homepage der Fabrik erfahren.

Polizei blockiert das Gefängnis Mamak, OYAK und ASAL

Nach einer kurzen Erklärung vor dem Offiziersklub Tandogan ging die Gruppe zum Militärgefängnis Mamak, das weltbekannt ist für seine Rolle nach den Militärputschen 1971 und 1980. In der Nähe liegen auch OYAK, eine wirtschaftliche Vereinigung der Offiziere und das Rekrutierungszentrum ASAL. Die Gruppe wurde von der Polizei am Näherkommen gehindert.

Polizisten äußerten, dass ihnen das vorgesehene Programm egal sei und warnten: "Wir werden eingreifen, ihr werdet verhaftet werden, dann geht und beschwert Euch, wo immer ihr wollt." Sie forderten die Gruppe auf, sich zu zerstreuen.

Die Gruppe schien sich zu zerstreuen, fuhr aber mit den Bussen zum Boulevard Yüksel, wo Hunderte von ehemaligen Soldaten kurz zuvor gesichtet worden waren. Dort marschierte die Gruppe mit dem Slogan: "Wir werden nicht töten, wir werden nicht sterben, wir werden niemandes Soldat".

Einige Passanten riefen der Gruppe zu: "Ich bin bereits Soldat. Was soll ich jetzt tun? Abhauen oder sterben?"; Wenn Ihr nicht geht, wer geht dann noch zum Militär?"

Vor dem Denkmal für Menschenrechte hielten die AktivistInnen eine weitere Pressekonferenz ab und zerbrachen erneut Gewehre. Von der Menge wurden sie offen kritisiert. In Zurufen wurden sie "Verräter" genannt. Zur eigenen Musik tanzend beendeten die AntimilitaristInnen ihren Tag auf dem Yüksel Caddesi.

Die Teilnahme war im Vergleich zum letzten Jahr in Izmir eher gering. Es lag teilweise daran, dass die Polizei in Ankara wesentlich härter vorging, als in Izmir. Grund dafür dürfte die Öffentlichkeitsarbeit zu Mehmet Tarhan und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Osman Murat Ülke sein. Auf der anderen Seite wurde angemerkt, dass zur Zeit solch eine Aktion als "Distanzierung des Volkes vom Militär" angesehen und strafrechtlich verfolgt werden würde. Dazu beigetragen haben auch die Ängste bezüglich des neuen "Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus".

Versammlung hört AntimilitaristInnen

Am zweiten Tag des Festivals gab es eine Veranstaltung in der Stiftung für Sozialforschung über "Revolution, Soldaten, Freiheit", in der der Autor Mahmut Memduh Uyan die Rolle des bewaffneten Krieges im revolutionären Kampf der Vergangenheit erläuterte.

Uyan stellte heraus, dass in den 70ern des letzten Jahrhunderts, einem Zeitraum zwischen zwei Militärputschen in der Türkei, jeder politisch Aktive für seine eigene Sicherheit und die Sicherheit des Eigentums sorgen musste. Niemand sei auf bewaffnete Zusammenstöße scharf gewesen. "Für den nationalen Kampf, um die eigene Persönlichkeit und Identität zu schützen, die sozialen Beziehungen und Politik zu verteidigen, verteidigten wir den bewaffneten Kampf", sagte er. Bewegungen wie der Antimilitarismus ergänzten nun wichtige Werte für die Gesellschaft. Aber: "Bewegungen, die Freiheit wollen, müssen wie die Kräfte handeln, denen sie gegenübertreten."

Die Journalistin Birgsarsi erläuterte in der Diskussion, dass die Gewalt in der Türkei nicht auf die berichteten Angriffe in den Universitäten beschränkt bleibe. Die wahre Gewalt im Land ist die gewaltvolle Mentalität, mit der der Staat und seine Armee die Menschen behandelt.

Ozbaris rief in Erinnerung, dass gegen sie bis jetzt fünf Anklagen erhoben wurden, alle im Zusammenhang mit Berichten oder Interviews zur Kriegsdienstverweigerung. Eine sechste Anklage sei erhoben worden, weil sie im Zusammenhang mit den Entwicklungen im Südosten der Türkei sagte, dass "in den letzten sieben Jahren Frieden niemand seine Verantwortung erfüllt hat. Das (neue) Antiterror Gesetz wird ein Kriegsgesetz sein. Deshalb ist die Linke still, bewegt sich nicht und hat sich gespalten. Unsere Probleme sind die gleichen, aber wir sprechen nicht die gleiche Sprache".

Sie führte weiter aus: "Als AntimilitaristInnen sollten wir den Krieg besser verstehen, der in unserem Land stattfindet, wie auch die Bedingungen, die den Krieg verursachten. Ich schätze die Kriegsdienstverweigerung, ich glaube, dass es ein guter ziviler Ungehorsam gegen Militarismus ist". Sie sagte weiterhin, dass viele Journalisten wegen der Berichterstattung darüber unter Druck gesetzt werden: "Die Kriegsdienstverweigerung und der Pazifismus sind die beiden Beine des Antimilitarismus. Es sind die Beine des Volkes. Wir müssen den Anschluss an das Volk finden."
Am Schluss erklärte Ahmet Özdemir seine Kriegsdienstverweigerung:
"Ich bin Ahmet. Wie auch immer sie begründet wird, ich glaube nicht an die Macht des Staates. Ich werde kein verlängerter Arm, kein Objekt und kein Pionier dieser Macht sein. Ich akzeptiere keine andere Kraft und Macht als die meines Gewissens. Für mich gibt es keine höherstehende Macht.

Abgesehen davon finde ich es lächerlich, dass mir eine selbst ernannte Macht vorschreibt, anwesend zu sein, um selbst Macht auszuüben. Es ist nicht nur lächerlich, es ist auch unlogisch.

Ich bin vor allem ein Mensch, der selbst denkt und ein eigenes Gewissen und eigene Werte hat. Ich kann es nicht mit mir vereinbaren, die Flagge eines Landes oder die Unterdrückung des Staates zu stützen. Ich lehne die Existenz eines Staates, ich lehne den Personalausweis ab, wie auch die Steuernummer, für die ein großer Teil des Lebens vernichtet wird.

Ich lehne die Ableistung des Militärdienstes ab, wie auch einen eventuellen Ersatzdienst. Ich werde auch kein Attest zur Ausmusterung akzeptieren. Es bescheinigt eigentlich nur, dass das System selbst untauglich ist.

In der Hoffnung auf einen Planeten, auf dem auf allen Ebenen Frieden herrscht."

Gamze Goker, BIA Ness Center vom 16.05.2006: Militarism Under Fire in Ankara. http://www.bianet.org/2006/05/01_eng/news79093.htm. Übersetzung: Rudi Friedrich, Cemal Sinci. Der Beitrag erschien im Rundbrief »KDV im Krieg«, Juli 2006.

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