Ruta Yosef-Tedla

Ruta Yosef-Tedla

"Besonders schwierig ist die Situation für Frauen"

von Ruta Yosef-Tedla

(02.06.2004) Ich wurde am 27. November 1987* in Asmara geboren und wuchs dort mit meinen vier Geschwistern auf. Meine Mutter, Tseheinesh-Berhe, starb 1996, meine Großmutter mütterlicherseits im Jahre 2001. Im selben Jahr wurde mein Vater ohne Erklärung verhaftet und inhaftiert.

Bis zur 6. Klasse ging ich in die Mekanegennet-Schule, anschließend in die Hadnet-Schule und für die 8. und 9. Klasse in die Keihbarih-Schule.

Nachdem meine Mutter gestorben war, kümmerte sich meine Großmutter mütterlicherseits um uns. Ich musste ihr allerdings dabei helfen und daher im Jahre 2003 die Schulausbildung unterbrechen. Nachdem auch sie verstorben war, kam meine Großmutter väterlicherseits zu uns. Sie stammt aus einem Dorf, so dass ich auch ihr zur Hand gehen musste und nicht zur Schule gehen konnte.

Es ging mir in Eritrea sehr schlecht. Wenn wir uns an die Behörden wandten, erhielten wir keine Antwort. Unser Wille wurde nicht beachtet. Wir sollten nur das machen, was sie von uns gefordert haben. Ich will einige Beispiele dafür nennen:

In der Schule musste zwei Mal in der Woche für 2-3 Stunden militärisches Training absolviert werden. Manchmal war es ein langer Marsch, manchmal ein Training in der Schule. SchülerInnen wurden auch nach Gahtelay gebracht, wo es wirklich heiß ist und man verdursten kann. Zwei von meinen Mitschülern sind dort gestorben.

Besonders während des Krieges wurden fast alle SchülerInnen zwangsweise einberufen. Kurz vor der Mittleren Reife wurden sie nach Sawa gebracht und an der Front eingesetzt. Manche sind gefallen, manche erlitten Verletzungen und sind jetzt kriegsversehrt. Einige sind auch zurückgekehrt und durften die Schule beenden. Inzwischen haben sie das Schulsystem so geändert, dass die letzte Klasse zur Vorbereitung auf das Abitur in Militärcamps stattfindet.

Eine Zeitlang wollten die Behörden, dass die Bevölkerung Blut spendet. Sie haben im Radio und Fernsehen gesagt, dass dies eine gute Tat sei und auf freiwilliger Basis geschehe. Aber wir wurden alle dazu gezwungen, auch die, die nicht spenden wollten. Ansonsten wurden sie von der Schule geworfen oder erhielten andere Schwierigkeiten.

Der 24. Mai ist der Tag der Befreiung. Dieser Tag wird groß gefeiert. Im Fernsehen sieht man, dass alle Jugendlichen die Unabhängigkeit feiern und gut einstudierte Übungen vorführen. Drei Monate vor der Unabhängigkeitsfeier wurden die Jugendlichen dafür aus der Schule genommen. Wer irgendwas falsch machte, wurde geschlagen. Einmal gingen sogar die Eltern dagegen vor. Sie sagten, dass ihren Kindern der Schulbesuch verweigert werde. Mütter haben demonstriert, obwohl auch das nicht erlaubt ist. Sie haben gesagt: „Unsere Mädchen werden unserer Erziehung entzogen. Sie werden deshalb in der Gesellschaft schlecht angesehen werden. Daher sollen sie die Schule fortsetzen und wieder unserer Erziehungsgewalt überlassen werden. Wenn sie so etwas üben, dann nur auf freiwilliger Basis.“ Weil die Mütter demonstriert hatten, wurden sie als Gegnerinnen der Unabhängigkeit angesehen. Manche von ihnen wurden verhaftet.

Es gibt keine Redefreiheit. Es gibt auch keine religiöse Freiheit. Einige Religionsgemeinschaften, wie die Zeugen Jehovas oder die Full Gospel, wurden einfach verboten und geschlossen.

Besonders schwierig ist die Situation für Frauen. Manche sind mit Gewalt nach Sawa zur Grundausbildung gebracht worden. Sie wurden dort wie Sklavinnen gehalten, vergewaltigt. Christinnen wurden so von Muslimen schwanger - und umgekehrt. Manche wurden von ihren Familien verstoßen. Das alles ist für die Frauen kaum zu ertragen. So haben sich einige selbst umgebracht, andere ihr Kind, weitere sind verrückt geworden.

Ohne Probleme können die in Eritrea leben, die zu den Familien gehören, die den Führungskräften angehören oder viel Geld haben. Die Kinder der Machthaber, von Generälen, Beamten und anderen hochrangigen Personen sind vor der Einberufung in den Krieg geschützt. Alle anderen müssen für den Krieg sterben. Die einen sitzen nur da und befehlen, die anderen müssen sterben. Das finde ich nicht richtig. All dies hat mich abgeschreckt. Es hat mir Angst gemacht.

Da ich die Schule unterbrochen hatte, durfte ich nicht mehr weiter zur Schule gehen. Stattdessen sollte ich dazu gezwungen werden, den Nationaldienst abzuleisten. Manche Jugendlichen wurden dazu sogar einfach auf der Straße abgegriffen.

So kam die Zeit, dass ich zum Nationaldienst einberufen worden wäre. Ich war mir klar darüber, dass ich ihn nicht machen wollte, aus verschiedenen Gründen. Zum einen bin ich von Natur aus ängstlich. Ich bin auch religiös erzogen worden, so dass es für mich eine Sünde wäre, am Krieg teilzunehmen.

Zudem bin ich prinzipiell gegen Krieg. Ich weiß gar nicht, wozu überhaupt Krieg geführt wird. Wer stirbt und wer ist in Sicherheit? Die Machthaber und die Angehörigen der Machthaber, ihre Kinder sind in Sicherheit. Die anderen müssen sterben. Gibt es überhaupt einen sinnvollen Krieg? Krieg ist doch überhaupt unsinnig. Ich bin total gegen Krieg, z.B. auch in Ruanda. Der Krieg bringt Tote und Armut. Die Kinder leiden darunter.

Als ich noch in die Schule ging, musste ich eine Zeitlang in einem großen Krankenhaus helfen. Wir verbanden Kriegsverletzte. Da habe ich zum Beispiel erlebt, wie zwei Geschwister so schwer angeschossen waren, dass sie verstarben. Deren Schwester hatte gerade Dienst. Als sie das sah, ist sie verrückt geworden. Ich erlebte dort viele schreckliche Dinge und sah schwere Verletzungen. Es war grauenvoll und für mich ein weiterer Grund, den Nationaldienst abzulehnen.

Zudem waren zwei meiner Geschwister zum Krieg einberufen worden und wir haben keine Nachricht mehr von ihnen erhalten - bis jetzt nicht.

Ein weiterer Grund war, dass mein Vater ohne irgendeine Erklärung verhaftet wurde. Wir waren gerade nicht zu Hause. Später kamen die Soldaten aber noch einmal, um das Haus zu durchsuchen. Da fragte ich sie: „Warum habt Ihr ihn verhaftet? Wo ist mein Vater?“. Statt mir zu antworten, wurde ich geschlagen. Bis jetzt wissen wir nicht, wo unser Vater geblieben ist.

So befand ich mich vor der drohenden Einberufung in einer schwierigen Situation. Ein Freund meines Vaters versprach mir zu helfen, aus dem Land herauszukommen. Mit ihm konnte ich im Jahre 2003 bis in den Sudan gehen. Ich blieb nicht lange im Sudan, nur ein oder zwei Monate.

Seit ich nach Deutschland gekommen bin, geht es mir nicht gut. Ich lebe in einem kleinen Ort, Seeheim-Jugenheim, in der Nähe von Darmstadt. Ich habe immer Schwierigkeiten mit dem Sozialamt. Ich darf nicht einfach Freunde oder Familie besuchen. Ich hatte beantragt, mich in eine andere Unterkunft umverteilen zu lassen. Es wurde mir auch zugesagt, dass ich zu Angehörigen kommen könne. Aber mein Antrag wurde am Ende abgelehnt. Nun bin ich oft nicht im Lager. Daher wurde mir schon mehrmals die Sozialhilfe gekürzt.

 

* Die deutschen Behörden änderten das Geburtsdatum eigenmächtig auf den 1. Januar 1987, da Ruta Yosef-Tedla keinen Nachweis über ihre Identiät erbringen könne.

Interview mit Ruta Yosef-Tedla am 2. Juni 2004. Übersetzung: Yonas Bahta. Abschrift: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsseelsorge der EKHN (Hrsg.): Broschüre »Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion«, Offenbach/M., November 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Dekadefonds zur Überwindung der Gewalt der EKHN, Förderverein Pro Asyl und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).

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