Broschüre Eritrea 2009

Broschüre Eritrea 2009

Fluchtgründe brauchen Anerkennung

Beitrag zur Pressekonferenz

von Yohannes Kidane

Yohannes Kidane von der Eritreischen Antimilitaristischen Initiative wandte sich mit seinem Beitrag auf der Pressekonferenz am 9. September 2010 an die Verantwortlichen in Deutschland und machte deutlich, wie prekär die Menschenrechtssituation in Eritrea ist. (d. Red.)

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

zunächst einmal möchte ich Ihnen allen danken, dass Sie heute zu dieser Pressekonferenz gekommen sind. Dann möchte ich Frau Antje Becker, die Mitglieder von Connection e.V. und PRO ASYL im Namen der Eritreischen Antimilitaristischen Initiative zu ihrer unschätzbar wertvollen Arbeit beglückwünschen und dazu, dass sie den heutigen Tag möglich gemacht haben. Auch Yonas und Petros möchte ich beglückwünschen und sie in ihrer neu erworbenen Freiheit willkommen heißen.

Wie wir alle wissen, verlassen Menschen aus armen Ländern wie Eritrea ihre Heimat teils aus offensichtlichen, teils aus weniger offensichtlichen Gründen. Einige der unmittelbar einleuchtenden Gründe, die Menschen dazu bringen, innerhalb ihres Landes, aber auch in andere Länder und sogar andere Kontinente zu fliehen, sind:

  1. Kriegsbedingte Instabilität, kriegsbedingte Zwangsrekrutierung und Brutalität des Militärs;
  2. Diktatorische Regierungen, unter denen es keine Sicherheit, keine Gerechtigkeit und keine Rechte gibt;
  3. Dürre, Hungersnöte und andere durch Umwelt- und Klimaveränderungen verursachte Katastrophen;
  4. Armut, wirtschaftliche Ungleichheit und die Suche nach einem besseren Leben, nach Veränderung.

Ich persönlich, der ich nun schon sieben Jahre lang in Deutschland mein Leben in Frieden und Freiheit leben durfte, gebe allen Menschen, die aus diesen Gründen fliehen, recht. Nach meinem Verständnis sind alle genannten Punkte gute Gründe, ein so feindliches Umfeld zu verlassen.

Seit Tausenden von Jahren fliehen die Menschen vor derartigen Umständen. Niemals in der Geschichte der Menschheit haben die Menschen solche Umstände ertragen und sie werden sie auch in Zukunft nicht ertragen, denn sie stehen im Widerspruch zum menschlichen Geist, der nach Freiheit, Überleben und Veränderung strebt.

Aus meiner Erfahrung als Eritreer kann ich sagen, dass zwischen Deutschland und Eritrea Welten liegen. In Deutschland ist das Prinzip der individuellen Freiheiten fest verwurzelt. Deutschland ist sehr friedlich und erlegt der Kreativität und dem Erfindungsgeist des Einzelnen keine Grenzen auf.

Eritrea hingegen leidet unter der Herrschaft eines Diktators. Die Menschenrechte werden in eklatanter Weise verletzt und mit Füßen getreten. Einschränkungen jeder Art, gesellschaftlich produzierte Armut und Hunger prägen das Bild. Ich will nur einige Beispiele dafür nennen:

  • Politiker, politische Gegner und Journalisten, die Reformen oder eine verantwortungsvolle Politik einfordern, werden seit dem 18. September 2001, also seit neun Jahren, ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Sie werden ihrer Rechte auf ein faires Verfahren und auf Besuche ihrer Angehörigen beraubt. Mehrere von ihnen sind bereits an den Folgen der Isolationshaft, an medizinischer Vernachlässigung oder Hunger gestorben.
  • Seit Juli 1994 werden Jugendliche zwangsrekrutiert oder bei Razzien auf der Straße zusammengetrieben und zu unbefristetem Nationaldienst und Zwangsarbeit verschleppt. Ich spreche hier von einem Nationaldienst von bis zu 14 Jahren, bei dem kein Ende in Sicht ist. Die produktiven Arbeitskräfte des Landes sind in dieser Situation gefangen – ohne jede Möglichkeit, ein ziviles Leben zu führen, eine Karriere aufzubauen, eine Familie zu gründen oder sich um die alten Eltern zu kümmern.
  • Seit 2003 werden die Abschlussklassen der Schulen gezwungen, in militärische Trainingscamps in den unwirtlichsten Teilen des Landes zu ziehen, um das Abschlusszeugnis zu bekommen. Den Schülerinnen und Schülern wird damit die Freiheit entzogen, zu Hause bei ihren Familien zu leben und an einer Schule in der Nähe zu lernen.
  • Die einzige Universität des Landes, die Universität Asmara, ist im Jahr 2006 durch die Regierung geschlossen und durch unter militärischer Verwaltung stehende Colleges ersetzt worden.
  • Die Reisefreiheit ist stark eingeschränkt. Dies gilt sowohl für Reisen innerhalb des Landes als auch für Auslandsreisen. Überall gibt es militärische Kontrollpunkte. Um von einer Stadt oder Region in die andere zu reisen, muss man lokale Ausweise und Reisegenehmigungen vorlegen. Wer kein entsprechendes Dokument vorlegen kann, läuft Gefahr, verhaftet zu werden. An den Landesgrenzen gibt es spezielle Grenzposten, die den Befehl haben, Menschen, die außer Landes zu fliehen versuchen, zu verhaften oder auf der Stelle zu erschießen.
  • Den Menschen in Eritrea sind ihre verfassungsmäßigen Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auf Sicherheit der Person und auf Kritik an der Regierungspolitik entzogen worden. Die Regierung verbietet jegliche freie Meinungsäußerung. Wer diese Rechte dennoch wahrzunehmen versucht, wird verhaftet oder „verschwindet“ einfach.
  • Seit 2005 hat die Regierung zahlreiche Kirchen geschlossen. Die Polizei und die Sicherheitskräfte brechen Kirchentüren auf und führen Razzien in Privathäusern durch, um unschuldige Christen unterschiedlicher Konfessionen in die Gefängnisse zu verschleppen.

Vielleicht können sich die Deutschen besser als andere europäische Völker in eine solche Situation hineinversetzen. Der Zweite Weltkrieg hat Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Genau wie in Eritrea flohen einige vor staatlicher Verfolgung, andere flohen vor Krieg und Gewalt und wieder andere flohen, um der wirtschaftlichen Not der Nachkriegszeit zu entkommen. Auch die Menschen aus der ehemaligen DDR wissen, was es heißt, ohne grundlegende Rechte wie Meinungs- und Reisefreiheit zu leben. Sie kennen die Angst vor Spitzeln der Regierung, die das Privatleben anderer ausspionieren. Und die Erinnerung an die Mauertoten ist noch nicht verblasst.

Die Liste der Verfolgungen, Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen, der Entbehrungen und Leiden in Eritrea ist lang. Und das Schlimmste ist: Es scheint keine Hoffnung zu geben, kein Mittel, um die Situation zu ändern. Die Tatsache, dass allein der Fluchtversuch den Flüchtling das Leben kosten kann, spricht für sich. Wenn ein Mensch sein Leben riskiert, um einer Situation zu entfliehen – wie schlimm muss dann diese Situation sein? Deshalb bitte ich Sie alle, die Sie heute hier sind: Urteilen Sie selbst über das Anliegen der Eritreer. Glauben Sie, es war richtig, unschuldige eritreische Bürger abzuschieben, die es geschafft hatten, aus einem solchen Land zu fliehen?

Vielen Dank.

Yohannes Kidane: Beitrag zur Pressekonferenz am 9. September 2010. Übersetzung: Heike Makowski

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