Israel: Durch das Feuer

von Adam Keller

(Oktober 2006) Als Ehud Olmert vor einigen Monaten sein Kabinett zusammenstellte gab es keinen Hinweis darauf, dass die Regierung innerhalb der ersten hundert Tage das Land in einen desaströsen Krieg stürzen würde.

Zu den Wahlen im März hatte Ehud Olmert von der Partei Kadima darum gebeten, eine klares Mandat zu erhalten, um den Konvergenzplan umzusetzen: Dieser beinhaltet einen einseitigen (unilateralen) Rückzug von großen Teilen der Westbank unter Evakuierung von etwa 80.000 dort lebenden israelischen Siedlern bei gleichzeitigem Behalt der sogenannten Siedlungsblöcke.

Olmert teilte nicht die Vorhaben für soziale Gerechtigkeit, die sein wichtigster Partner, der Führer der Arbeitspartei, Amir Peretz, im Wahlkampf vorgebracht hatte. Unerbitterlich weigerte er sich, Peretz mit dem Finanzministerium zu betrauen, dem einzigen Ministerposten, mit dem der ehemalige Gewerkschaftsführer ernsthafte Anstrengungen hätte unternehmen können, um „die israelischen sozioökonomischen Prioritäten neu zu definieren“.

Nachdem Peretz das Veto Olmerts hingenommen hatte und damit einverstanden war, stattdessen das Verteidigungsministerium zu übernehmen als „dem einzigen Ministerium mit ähnlich hoher Bedeutung“, wurde das landläufig als eine stillschweigende Vereinbarung angesehen, soziale Reformen hintenanzustellen.

Mit dem Amtsantritt von Olmert bereiteten sich die Siedler der Westbank darauf vor, einen erbitterten letzten Widerstand gegen den geplanten Abriss ausgedehnter Siedlungen zu leisten. Einige Splittergruppen der Siedler begannen offen, mit gewalttätigem Ungehorsam zu drohen, der „viel weiter gehen würde“, als ein Jahr zuvor im Gazastreifen.

Friedensaktivisten standen einem Dilemma gegenüber: Sollten sie den Plan von Olmert unterstützen, da er versprach, viele der Siedlungen abzubauen - oder sollten sie sich gegen den Plan wenden, weil er viele andere Siedlungen annektieren würde und er einseitig über die PalästinenserInnen verhängt werden sollte?

Obwohl es einige Befürchtungen gab, weil Peretz die Verantwortung für die bewaffnete Macht und die Unterdrückungsmaschinerie übernahm, gab es auch Stimmen im Friedenslager, die hofften, dass Peretz seine machtvolle Position nutzen würde, um Olmert vom Unilateralismus abzubringen und sich einer Verhandlungslösung zuzuwenden.

In all diesen Debatten und Überlegungen dachten nur wenige über die libanesische Grenze nach, wo es in den letzten sechs Jahren bis auf wenige Vorfälle ruhig geblieben war. Von Zeit zu Zeit zitierten Zeitungen Generäle der israelischen Armee, dass der Vorrat an Katjuscha-Raketen der Hizbollah „inakzeptabel“ sei und „früher oder später etwas getan werden muss“. Aber solchen Erklärungen wurde nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Mit allen wird gesprochen, aber ...

Um seinen einseitigen, unilateralen, Plan umzusetzen, der nicht die geringste Ähnlichkeit zur eingemotteten „Road Map“ (Fahrplan) der internationalen Diplomatie für den Nahen Osten hat, hatte Olmert eine sehr klar formulierte eigene „Road Map“ für den Konvergenzplan. Er bereitete zunächst eine internationale Tour vor, um diplomatische Unterstützung dafür zu erhalten: zuerst natürlich in Washington, dann in den europäischen Hauptstädten wie Paris und London. Danach wären Kairo und Amman gefolgt, wo pro US-amerikanische Regime sitzen, die Friedensvereinbarungen mit Israel unterzeichnet haben. Damit hoffte er, massive internationale und arabische Unterstützung für seinen Plan zu sammeln. Erst dann hätte er ihn den PalästinenserInnen präsentiert mit der Maßgabe: „Friss oder stirb“.

Olmert rechnete nicht wirklich damit, dass der Plan von den PalästinenserInnen akzeptiert würde. Er stellte sich vor, dass es einige Monate lang der Form halber Gespräche geben werde, die aber aussichtslos sein und im Sande verlaufen würden, womit Israel nur noch bliebe, „sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“ und seine eigenen Grenzen zu definieren, mehr oder weniger entlang des „Grenzzaunes“, der mit großer Energie gebaut wird und die Westbank zerschneidet.

Tatsächlich legte Olmert viel größeres Gewicht auf „Verhandlungen, um innerhalb der israelischen Gesellschaft Zustimmung zu erhalten“, was insbesondere meinte, mit den Führern der Siedler zu verhandeln, den Verlust von kleineren Siedlungen zu akzeptieren, um die Position der größeren abzusichern. Der Premierminister vertraute auf seine Fähigkeit, die pragmatischen Siedler zu überzeugen, dass der Versuch, die ganze Westbank zu halten, dazu führen würde, dass die Palästinenser aufgrund ihrer höheren Geburtenrate die Mehrheit erringen würden und fordern könnten, an den Wahlen teilzunehmen. Das würde das Ende des gesamten zionistischen Projekts bedeuten.

Bald begab sich Olmert auf die geplante Tour, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Kommentatoren und Regierungsberater debattierten darüber, ob Präsident Bushs Bezeichnung von Olmerts Plan als „kühn“ seine vollständige Billigung bedeute. Später, bei aufeinander folgenden Pressekonferenzen mit Premierminister Blair, den Präsidenten Chirac und Mubarak und König Abdullah, benutzte Olmert immer wieder den gleichen Trick: Er erklärte, dass „Verhandlungen die beste Möglichkeit“ seien, aber wenn sie fehlschlügen, „sollte es einige Möglichkeiten geben, auf die zurückgegriffen werden könne“. Wie widerwillig auch immer Zustimmung dazu von seinen Gastgebern erteilt wurde, es wurde als eine Zustimmung zum Unilateralismus interpretiert.

Der einzige, der dies nicht tat, war der König von Jordanien. Bereits lange vorher machte die haschemitische Dynastie sehr klar, dass - wegen der großen Zahl von Palästinensern unter den jordanischen Bevölkerung und ihren vielfältigen familiären und sozialen Kontakten mit den Einwohnern der Westbank - jeder voreilige israelische Schritt als direkte Bedrohung der Stabilität des eigenen Regimes angesehen werde. Besonders argwöhnisch machte die Jordanier die direkte Beziehung von Olmerts Konvergenzplan mit dem Grenzzaun, der eine massive Enteignung und Zerrüttung des täglichen Lebens der PalästinenserInnen in der Westbank zur Folge hat. So leistete der jordanische Monarch keinerlei Unterstützung - weder offen noch stillschweigend - für den Konvergenzplan der israelischen Gäste; stattdessen wurde Olmert nachdrücklich dazu gedrängt, sich mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas (Abu Mazen) zu treffen.

Olmert stimmte einem solchen Treffen auf jordanischem Boden widerstrebend zu - aber er versagte Abu Mazen jeden Erfolg. Es war sogar noch schlimmer: Olmert machte sich noch nicht einmal die Mühe, seine Generäle zurückzuhalten, die einen verheerenden Luftangriff auf „terroristische Ziele“ in Gaza Stadt am Vorabend des anberaumten Treffens durchführten. Bei dem Angriff starben mehrere Zivilisten. Das führte natürlich dazu, dass Abu Mazen unter scharfe Kritik von Palästinensern geriet, weil er vor den Fernsehkameras einfach weitergemacht und die Hände von Olmert geschüttelt habe. Bevor ein weiteres Treffen stattfinden konnte, erreichte die Eskalation sehr schnell die Stufe des Krieges.

Der Boykott geht nach hinten los

Der Sieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen schien in die Hände von Olmert und seinem Unilateralismus zu spielen, da es eine breite internationale Unterstützung für die Behauptung gab, dass „es keinen Partner gibt“. Der palästinensische Premierminister Haniya und sein Kabinett wurden als „Terroristen abgetan, die auf die Zerstörung Israels erpicht sind“ und Präsident Abu Mazen als „gutwillig aber machtlos“.

Dennoch hatte der brutale Boykott der Palästinenser, den Olmert aktiv förderte, den Effekt, die Situation anzuheizen, womit Olmert das sorgfältig ausgearbeitete Vorhaben entglitt, seinen Konvergenzplan beiseite fegte und große Zweifel an seinem politischen Überleben laut werden ließ.

Was den internationalen Boykott gegenüber den Palästinensern so enorm effektiv werden ließ, war die vollständige Beteiligung der Europäer seit dem Zeitpunkt, als die Regierung von Haniya ihre Amtsgeschäfte aufnahm. Die Wiederaufnahme ökonomischer Hilfe für die PalästinenserInnen unter dem neuen Kabinett war an die Anerkennung der berühmten „drei Bedingungen“ gebunden: Anerkennung von Israel, Anerkennung bisher getroffener Vereinbarungen und Verzicht auf Gewalt. Die europäischen Führer mögen dabei einen Prozess von offiziellen und inoffiziellen Gesprächen im Kopf gehabt haben, wo Kompromisse hätten gefunden werden können.

Haniya, seine Minister und andere höhere Hamasminister waren solchen Ideen sehr aufgeschlossen gegenüber. Diskrete Botschaften wurden über Diplomaten übermittelt, die bereit waren, mit ihnen zu sprechen, wie auch durch zahlreiche Interviews gegenüber der internationalen Presse und einigen israelischen Medien sowie durch den Beginn eines direkten Dialogs zwischen der Hamas und der israelischen Friedensbewegung.

Am 13. Mai erreichte Uri Avnery als Angehöriger von Gush Shalom A-Ram, einen großen Vorort von Jerusalem, um an einem Protestzug gegen die Errichtung des „Trennzaunes“ teilzunehmen, der die Stadt zerschneidet und sie wirklich abschnürt.

Innerhalb der ersten halben Stunde nach seiner Ankunft musste Uri Avnery in ein nahegelegenes palästinensisches Haus fliehen, weil Wolken von Tränengas, das von den israelischen Truppen verschossen worden war, das Atmen auf der Straße unmöglich machte. Er floh gemeinsam mit Scheich Muhammad Abu-Tir in dieses Haus, einem prominenten Mitglied des palästinensischen Gesetzgebungsrates, der ebenfalls an dem Protestzug teilnahm.

Die beiden hatten nicht viel zu tun, bis das Gas verschwand. So sprachen sie miteinander. Anschließend wurde Avnery in das Haus von Abu-Tir in der Nachbarschaft von Tzur Bahr in Jerusalem eingeladen. An einem zweiten Treffen am gleichen Ort nahmen acht Mitglieder des Vorstandes von Gush Shalom teil, die dort mehrere Stunden mit Scheich Abu-Tir und seinem Parlamentskollegen Ahmet Atun diskutierten.

Die Botschaft, die von diesem Treffen ausging - wie auch von vielen anderen Quellen - war klar: Im Gegensatz zur Behauptung der Regierung Olmert war die Hamas-Bewegung und das von ihr zusammengestellte Kabinett nicht „darauf festgelegt, Israel zu zerstören“. Vielmehr wünschten sie ein Ende der Besatzung. Im Austausch dafür - aber auch nicht für weniger - waren sie bereit, sich auf einen Handel einzulassen, wie etwa „einen sechzig Jahre lang dauernden Waffenstillstand mit Israel“.

Die Regierung von Olmert war daran nicht interessiert, auch nicht die Herausgeber und Kommentatoren der großen israelischen Medien. Die von Gush Shalom bekannt gegebene Information wurde mit Spott beantwortet und als „offensichtliche terroristische Propaganda“ abgetan. Abu-Tir und Atun selbst fanden sich bald in einem israelischen Gefängnis wieder.

Es ist wahr, Sprecher der israelischen Regierung konnten schadenfroh auf radikale Erklärungen von dem militanteren Flügel der Hamas verweisen - der in Damaskus sitzt und daher von der direkten Verantwortlichkeit für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten entbunden ist und insbesondere auch von der Notwendigkeit, den palästinensischen Regierungsbeamten monatlich den Lohn auszuzahlen. Das, so erklärten Olmert und sein Außenminister Tzippy Livni ohne das geringste Zögern, sei die einzige wahre und authentische Stimme der Hamas, die einzige, die wirklich Ernst genommen werden müsse und die überzeugend den schändlichen und teuflischen Charakter der Organisation beweise.

Druckkessel Gaza

Gestärkt durch die volle Unterstützung von Bush, der die Hamas ohne Zögern der terroristischen Achse des Bösen zuordnete, und von den Europäern, die es eigentlich besser wissen sollten, erhöhte Olmert weiter den Druck auf die Palästinenser. Sie waren schärferen ökonomischen Sanktionen ausgesetzt, als es die Apartheid in Südafrika jemals erlebt hatte.

Das war der schwerste Schlag für den Gazastreifen, der immer der ärmste und übervölkertste Teil der palästinensischen Gebiete war. Nach der sogenannten Loslösung von Gaza durch Sharon im letzten Jahr waren einige rosige Voraussagen über die Möglichkeiten des Gazastreifens abgegeben worden, sich wirtschaftlich zu erholen und aufzublühen. Aber alle Experten hatten klar gemacht, dass jede Aussicht darauf vollständig abhängig davon ist, dass es einen freien Warenverkehr in den Gazastreifen und aus ihm heraus geben muss.

Bis zu den palästinensischen Wahlen bemühte sich die US-Außenministerin Condoleeza Rice, die widerspenstigen israelischen Behörden dazu zu bringen, ihren Würgegriff über den Gazastreifen zu lockern. Aber dies endete, als die Nachrichten über die palästinensischen Wahlergebnisse in Washington eintrafen.

Mit der stillschweigenden Zustimmung Washingtons wurde der Kontrollpunkt Karni - die wichtigste Lebensader des Gazastreifens - über Monate ohne Unterlass geschlossen. Landwirtschaftsprodukte aus Gewächshäusern, die von israelischen Siedlern verlassen worden waren, verrotteten auf der palästinensischen Seite und erreichten niemals den europäischen Markt, wo sie möglicherweise einen guten Preis erzielt hätten - und was immer auch die Industrie im Gazastreifen besitzt, stand still, weil das Rohmaterial fehlte, das auf der israelischen Seite gestapelt war.

Amir Peretz, der in den ersten Wochen als Verteidigungsminister noch versuchte eine gemäßigte Politik umzusetzen, befahl den Militärs, Karni schleunigst zu öffnen. Eine Woche später entdeckte er, dass sein Befehl nur teilweise umgesetzt worden war. Um genau zu sein: Der Kontrollpunkt war für dreieinhalb Stunden geöffnet worden. Danach wurde er „wegen der ernsthaften Gefahr eines terroristischen Attentats“ wieder geschlossen.

Alle stimmten darin überein - sowohl die israelische, wie auch die palästinensische Seite - dass es eine Verbindung zwischen dem wirtschaftlichen Druck auf den Gazastreifen und den zunehmenden Feuergefechten an der Grenze gäbe. Selbstgemachte, ungenau-funtionierende palästinensische Kassam-Raketen wurden von Milizen auf israelische Ortschaften geschossen; das wurde mit heftigem israelischen Artilleriefeuer etwa hundert Mal beantwortet.

Nach den Palästinensern war der Beschuss durch Kassams ein Ausdruck der palästinensischen Verzweiflung wegen der buchstäblichen Strangulation; israelische Offizielle beriefen sich darauf, dass die Schließung der Kontrollpunkte „wegen der zunehmenden palästinensischen Aggression unvermeidbar“ sei.

Die Stadt Sderot, in der der israelische Verteidigungsminister Amir Peretz wohnt, liegt nahe an der Grenze zum Gazastreifen. Für palästinensische Milizen wurde sie nun zu einem bedeutsamen Ziel. Sie verdoppelten ihre Angriffe auf die Stadt. Da begannen die Einwohner von Sderot, Druck auf ihren Mitbewohner Peretz auszuüben, um „wirklich etwas gegen die Kassams zu unternehmen“. Einige begannen einen Hungerstreik vor dem Haus von Peretz und wurden dabei von Rechten begleitet, die erpicht darauf waren zu beweisen, dass „der Rückzug aus Gaza ein Fehler war, wie wir schon lange gesagt haben“.

Schließlich ermächtigte Peretz die Artillerie, das Feuer wesentlich näher an die Wohnhäuser zu richten - mit dem unvermeidlichen Ergebnis, dass mehr und mehr palästinensische Zivilisten getötet wurden.

Die Tötung einer ganzen palästinensischen Familie während ihres Picknicks an der Küste des Gazastreifens war der erste Fall, bei dem Fotografen mit Videokameras schnell genug auf der Szene erschienen um dramatische Bilder eines schrecklich zugerichteten Mädchens in der Nähe des Körpers ihres toten Vaters aufzunehmen, was dann weltweit über das Fernsehen verbreitet wurde, insbesondere im palästinensischen.

Nach einigen Tagen begann die Armee zu erklären, dass der israelischen Armee nicht die Schuld gegeben werden könne und dass die Familie „wahrscheinlich von einer Mine getötet worden sei, die von den Palästinensern selbst gelegt worden sei“. Die Armee musste aber zugeben, dass in einem zweiten Fall drei Tage später die Tötung von Zivilisten tatsächlich „das Ergebnis von einem bedauerlichen Rechenfehler des Luftwaffenpilots gewesen“ war.

Was die PalästinenserInnen „das Strandmassaker“ nennen veranlasste am Ende die Führung der Hamas - die sich bislang beharrlich an den von ihr selbst Anfang 2005 erklärten Waffenstillstand hielt - sich der Bombardierung mit Kassam-Raketen anzuschließen, was vorher von kleinen, am Rande stehenden, Milizen durchgeführt worden war. Ein Vergeltungsschlag, ein „Regen von 40 Kassams“ fiel auf Sderot (ohne jemanden zu verletzen) und die Hamas übernahm offiziell die Verantwortung dafür.

Regierungssprecher stürzten sich schadenfroh auf diesen „positiven Beweis der terroristischen Natur der Hamas“ und Generäle sprachen von „Plänen für eine Bodenoffensive in Gaza“. Sie seien „bereit für eine baldige Umsetzung“.

Neben all diesem war die palästinensische Gesellschaft zudem mit der drohenden Gefahr eines Bürgerkrieges konfrontiert.

Im Gefängnis besteht Einigkeit

Neben anderen Effekten erzeugte der Wahlsieg der Hamas eine dauerhafte Verbitterung und Feindschaft zwischen den Wahlgewinnern und der Fatah Partei, die die palästinensische Nationalbewegung fast ein halbes Jahrhundert angeführt und die Palästinensische Autonomiebehörde von Anfang an kontrolliert hatte.

Als die Hamas die Einrichtung einer nationalen Regierung der Einheit anbot, hatten dies die Führer der Fatah kurzerhand abgelehnt und es vorgezogen, dass die Hamas „allein die Musik spielt“ und auf Fehler des Eindringlings gehofft. Und nahezu sofort nach Bekanntwerden des Ergebnisses des „Experiments einer palästinensischen Demokratie“, was die US-Regierung selbst vorangetrieben hatte, setzten die US-Amerikaner Präsident Abu Mazen unter Druck, um das Hamas-Kabinett unter dem einen oder anderen Vorwand aufzulösen.

Rivalisierende Milizen und bewaffnete Streitkräfte marschierten in den Straßen der palästinensischen Städte auf. Dies wurde mit erheblicher Sorge von palästinensischen Gefangenen in den israelischen Gefängnissen beobachtet.

Der derzeit inhaftierte und sehr populäre Führer der Fatah, Marwan Barghouti, wandte sich an Gefangene mit ähnlicher Reputation von den anderen palästinensischen Splittergruppen - einschließlich der Hamas und sogar der kleineren und viel militanteren Islamischen Jihad. Sie entwarfen gemeinsam ein Dokument, das als Basis für eine nationale Versöhnung unter Palästinensern dienen und möglicherweise auch den internationalen Boykott brechen könnte.

Das Gefangenendokument wurde sofort Teil einer intensiven Diskussion unter PalästinenserInnen und auch darüber hinaus. Es forderte einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 (womit implizit auch Israel anerkannt wird) und die Begrenzung des bewaffneten palästinensischen Kampfes auf die besetzten Gebiete (womit es sich gegen den Abschuss von Raketen oder gegen Selbstmordattentate auf israelischem Gebiet wendet).

Umfragen unter PalästinenserInnen zeigten eine solide Mehrheit, die das Gefangenendokument unterstützen - die sich aus allen Parteien und Splittergruppen zusammensetzt.

In Israel wurde es von verschiedenen gemäßigten Kräften und Friedensgruppen begrüßt - obwohl vorherzusehen war, dass es von der Regierung Olmert unverzüglich ärgerlich zurückgewiesen wurde und erneut auf die Forderung verwiesen wurde: „Die drei Bedingungen und nichts anderes als die drei Bedingungen“.

Der Rang des Dokuments änderte sich, als Abu Mazen sah, dass Olmert mit stehenden Ovationen in den Kongresshallen von Washington empfangen wurde. Abu Mazen war alarmiert. Das palästinensische Glück schien seinen Tiefpunkt zu erreichen. Da sah er die Notwendigkeit für eine kühne Initiative: Er erklärte, dass er das Gefangenendokument in einem Referendum Ende Juli abstimmen lassen wolle.

Seine Erklärung sorgte für die bislang höchste Spannung mit der Hamas, die buchstäblich die Waffen in die Hand nehmen wollte gegen diesen Versuch, so ihre Auffassung, ihr Kabinett zu untergraben und zu destabilisieren und „das Ergebnis der Wahl zu annullieren“. Täglich gab es Zusammenstöße zwischen Bewaffneten beider Parteien, oft mit tödlichem Ende, durchsetzt mit israelischen Angriffen, die ihre eigenen Toten forderten. Viele Berichte in den israelischen Medien waren voller Häme, dass sich „die Palästinenser gegenseitig töten“.

Umso umstrittener das Referendum war, umso mehr nahm die palästinensische Unterstützung für das Gefangenendokument ab, bis zu dem Punkt, wo es „mehr teilte als vereinte“. Für den palästinensischen Präsidenten war das Referendum eher ein Trick, um Gespräche einzufordern, statt das Ziel an sich. Es ergaben sich intensive und oft verwirrende Dreiergespräche mit Präsident Abu Mazen, dem in Gaza lebenden Premierminister Haniya und Khaled Mash’al, dem in Damaskus lebenden Führer der Hamas.

Am Ende kamen Abu Mazen und Haniya ohne Mash’al zu einer Übereinkunft, wonach Abu Mazen seine Initiative für ein Referendum zurücknahm und Hamas sich damit einverstanden erklärte, eine Regierung der Einheit auf der Basis des Gefangenendokuments zu bilden.

Aber als sie dies erreicht hatten, schien ihre Vereinbarung strittig und nicht mehr relevant zu sein. Ein kühner Angriff auf einen israelischen Armeeposten, bei dem zwei Soldaten getötet wurden und einer gefangen genommen und innerhalb des Gazastreifens zu einem geheimen Ort verbracht wurde, wirkte als ein gewaltiges Hindernis bei allen diplomatischen Überlegungen und Kalkulationen.

„Verhaftung“ oder „Kidnapping“

In praktisch jeder Nacht, seit Israel die Städte in der Westbank im April 2002 zurück erobert hatte, führten die israelischen Einheiten Razzien durch, um „gesuchte Terroristen“ festzunehmen.

Jeden Morgen brachten die Radiomeldungen in Israel Statistiken über die in der vorangegangenen Nacht gefangen genommene Zahl „verdächtigter Terroristen“ (normalerweise zwischen zehn und zwanzig) und den Städten und Dörfern, wo sie verhaftet worden waren. Insgesamt befinden sich heute 9.000 bis 10.000 Personen hinter israelischen Gittern.

Solche Razzien tauchen nie besonders groß in den Nachrichten auf, nicht einmal, wenn einige der Palästinenser getötet werden, weil sie „Widerstand gegen die Verhaftung“ leisten oder „versuchen zu fliehen“ (was alle ein bis zwei Wochen geschieht). In den israelischen Berichten wird dafür der Begriff „Verhaftung“ benutzt, was voraussetzt, dass Israels Polizeimacht legitimiert dafür ist und dass die davon Betroffenen Kriminelle sind. Die palästinensischen Berichte sprechen über die gleichen Ereignisse normalerweise mit dem Begriff „Kidnapping“, aber die meisten Israelis wissen dies nicht, noch sind sie an der palästinensischen Auffassung dazu interessiert.

Die Razzia in der Nähe von Rafah, bei der zwei palästinensische Brüder von einem in den Gazastreifen eindringenden israelischen Kommando aus ihren Betten geholt und zur Haft nach Israel gebracht wurden, erhielt etwas mehr Aufmerksamkeit. Es war das erste Mal, dass solche Methoden im Gazastreifen seit dem Rückzugdurch Sharon benutzt wurden. Aber selbst dies war eine sehr wenig aufregende Meldung.

Drei Tage später war es ganz anders. In einer frühen Morgenstunde drang eine Gruppe der Hamas durch einen vorsichtig gegrabenen Tunnel unter den verstärkten Grenzanlangen hindurch einen halben Kilometer in israelisches Territorium vor. Sie überraschten eine israelische Einheit, zerstörten einen Panzer, töteten zwei Soldaten und brachten einen Dritten als Gefangenen fort.

Diese Aktion wurde innerhalb von Minuten zu einer weltweiten Nachricht und Gil’ad Shalit - bis dahin ein anonymer Wehrpflichtiger wie jeder andere auch - wurde ein geläufiger Name. Und hier war es die israelische Seite, die sehr nachdrücklich das Wort „Kidnapping“ benutzte, was von verschiedenen Diplomaten wiederholt wurde, die die „bedingungslose Freilassung der Geisel“ forderten. Auf der palästinensischen Seite wagte es niemand, von einer „Verhaftung“ zu sprechen, vielmehr von einem Kriegsgefangenen.

Die Operation und die Gefangennahme von Shalit war offensichtlich eine vollständige Überraschung - und keine angenehme - sowohl für den palästinensischen Präsidenten Abu Mazen wie auch für Premierminister Haniya. Wenn überhaupt, dann waren die Angreifer der radikalen Hamas aus Damaskus zuzurechnen. Offensichtlich wussten weder Abu Mazen noch Haniya, wo er festgehalten wurde.

Die Gefangennahme des Soldaten weckte große Hoffnung unter den Familienmitgliedern der palästinensischen Gefangenen, die zu Tausenden auf die Straßen gingen und Fotos von ihren inhaftierten Lieben hochhielten. In der Vergangenheit hatte die israelische Regierung bei gefangen genommenen Israelis Hunderte (manchmal sogar Tausende) von PalästinenserInnen und anderen arabischen Gefangenen freigelassen. Olmert blieb allerdings unnachgiebig und erklärte wiederholt, dass er die „Regeln im Nahen Osten ändern“ werde.

Wie Kommentatoren bemerkten, gerade weil sein Kabinett als gemäßigt angesehen wurde und weil er und sein Verteidigungsminister „Zivilisten ohne militärische Erfahrung“ sind, fühlte sich Olmert dazu gedrängt, viel weniger flexibel als zum Beispiel Sharon zu reagieren.

Noam Shalit, Vater des gefangen genommenen Soldaten, erreichte über Nacht enormes moralisches Ansehen. Er wurde täglich von israelischen und internationalen Medien interviewt, die geradezu das Haus der Familie in einem galiläischen Dorf belagerten. In bescheidener, aber eindrücklicher Art und Weise rief der Vater die Regierung zur Anerkennung der Prinzipien des Gefangenaustauschs auf und dazu „meinen Sohn zu retten, bevor es zu spät ist“ - ohne Erfolg.

Dem israelischen Geheimdienst gelang es nicht, das Versteck des Soldaten ausfindig zu machen, ein Glück für Shalit, da die meisten vorherigen Versuchen, mit Gewalt solche israelischen Gefangenen zu befreien, mit dem Tod des Gefangenen endeten. Aber es blieb Olmert und Peretz noch die Möglichkeit, brutale und zügellose Gewalt über den gesamten Gazastreifen zu verbreiten - und so verfuhren sie.

Tod und Zerstörung

Zunächst wurde die Luftwaffe losgeschickt, um die Transformatoren im Gazastreifen zu bombardieren und damit das arme und überbevölkerte Gebiet in buchstäbliche Dunkelheit zu stürzen. Die verbleibenden Hilfstransformatoren ermöglichen nur noch eine elektrische Versorgung der Bewohner von höchstens sechs Stunden am Tag.

Da der Gazastreifen den größten Teil des Stroms aus Israel erhielt, gab es keinen wirkliche Notwendigkeit, die Transformatoren zu zerstören, mit einen geschätzten Schaden von Tausenden von Millionen von Dollars. Es hätte völlig gereicht, einen einzigen Schalter in einem israelischen Schaltwerk zu sperren.

Als nächstes folgte ein Armeestreich der besonderen Art in der Westbank. Mehr als die Hälfte der Parlamentarier der Hamas und Minister des palästinensischen Kabinetts wurden gefangen genommen.

Im Gazastreifen setzte das palästinensische Rumpfkabinett seine Arbeit fort, oft an geheimen Orten und immer aufmerksam auf die israelischen Flugzeuge schauend, die unaufhörlich im Himmel von Gaza kreisten, wie auch auf israelische bewaffnete Kolonnen, die tiefer und tiefer in den Gazastreifen eindrangen.

Wie israelische Kommandeure offen bekannten, bestand die Strategie darin, Panzer und Transporter mit bewaffnetem Personal in die Wohnbezirke oder Flüchtlingslager zu schicken, die als Hochburgen der Hamas gelten, um Militante dazu zu provozieren, das Feuer mit ihren ineffektiven leichten Waffen zu eröffnen, woraufhin die Soldaten „so viele wie möglich von ihnen töten“ sollten. Wenn sie dies an einem Ort erledigt hätten, sollten sich die Streitkräfte zurückziehen und am nächsten Tag das gleiche Verfahren an einem anderen Ort praktizieren.

Die israelischen Generäle prahlten mit einer eindrucksvollen Aufrechnung der „Zahl der Toten“: in zwei Monaten wurden mehr als 250 Palästinenser getötet, bei zwei toten israelischen Soldaten (einer von ihnen durch eigenes Feuer). Nach den Erklärungen der Armee waren die meisten der getöteten Palästinenser „bewaffnete Militante“ - eine Behauptung, die von der palästinensischen Seite scharf bestritten wurde (wie auch von Journalisten und Menschenrechtsbeobachtern, denen es gelang, Beweise aus erster Hand zu erhalten).

Die Armee führte auch zahlreiche „begrenzte Überfälle“ durch, drang nur kurz über die Grenze ein, aber mit weit mehr als einem begrenzten Resultat: Seitdem klar war, dass der Tunnel, der für den Angriff benutzt wurde, bei dem Shalit gefangen genommen worden war, durch ein palästinensisches Gewächshaus getarnt war, zerstörte die Armee systematisch alle palästinensischen Gewächshäuser und viele private Häuser in der Nähe der Grenze und plünderte auch zahlreiche Felder und Plantagen.

Was mit all dieser Zerstörung und dem nicht erzählten Leid nicht erreicht werden konnte war das offiziell genannte Ziel: die Freilassung des gefangen genommenen Soldaten. Die ihn gefangen nahmen, blieben stur und wichen nicht von ihren Forderungen ab, Hunderte von palästinensischen Gefangenen im Austausch freizulassen, insbesondere Frauen und Minderjährige.

Die Ägypter versuchten „den Kreis zu quadrieren“ und eine gesichtswahrende Lösung zu finden, eine „zeitlich versetzte Freilassung“. Der Soldat würde freigelassen werden und Israel würde sich verpflichten, später palästinensische Gefangene als „eine damit nicht zusammenhängende Aktion des guten Willens“ freizulassen.

Die ägyptische Mediation war noch im Gange, wie auch die israelische Zerstörung des Gazastreifens, als am Morgen des 12. Juli die libanesische Hisbollah entschied, einzugreifen und selbst einen Überfall auf der anderen Seite der Grenze zu begehen, den Einsatz enorm zu erhöhen und die Schleuse für einen umfassenden Krieg zu öffnen.

Zurückhaltung braucht Stärke

Nach Ende des Krieges erklärte der Führer der Hisbollah im Fernsehen: „Hätte ich gewusst, dass die Israelis mit solch einem zerstörerischen Krieg reagieren würden, hätte ich den Überfall niemals genehmigt.“

Die Hisbollah hatte umsichtige und genaue Vorbereitungen für einen möglichen Krieg mit Israel getroffen - die eigenen Truppen bis zu hoher Effektivität trainiert, enorm viele Raketen aufgehäuft, Bunker gebaut und Befestigungsanlangen im Grenzgebiet errichtet, alle Straßen und Autobahnen mit explosiven Ladungen versehen um Panzer zu zerstören. Aber immer noch gibt es gute Gründe dafür, zu glauben, dass die Führer der Hisbollah keinen Ausbruch des Krieges zu diesem Zeitpunkt erwarteten.

Seit dem einseitigen Rückzug Israels aus dem Libanon im Mai 2000, in dessen Kielwasser die Hisbollah die Kontrolle der evakuierten Gebiete übernahm, gab es zahlreiche Grenzzwischenfälle - insbesondere in der Gegend der „Shaba Höfe“, die die Libanesen als Teil ihres Territoriums ansehen, das immer noch von den Israelis besetzt ist. Israel bleibt der Auffassung, dass es sich dabei um syrisches Gebiet handele, das mit dem selben Recht einseitig von Israel annektiert worden sei, wie die Golanhöhen.

In früheren Grenzzwischenfällen war die Vergeltung von Israel darauf beschränkt, einige Stunden in der unmittelbaren Grenzregion zu bombardieren. So lief das auch bei den schwerwiegenderen Zwischenfällen ab, wie im Oktober 2000, als Kämpfer der Hisbollah einen Überfall an der Grenze durchführten und drei israelische Soldaten gefangen nahmen. Auch damals hatte die israelische Seite mit „einer minimalen Vergeltung“ reagiert und später viele Gefangene freigelassen um die gefangen genommenen Soldaten zurück zu bekommen (bzw. ihre Leichen, da sie aufgrund der Verwundungen bei dem Überfall starben).

Es war auch bekannt, dass die Hisbollah Tausende von Katjuscha-Raketen erhalten hatte, einige davon mit einer so großen Reichweite, dass sie den ganzen Norden Israels erreichen konnten. Mehrere aufeinander folgende Regierungen sahen keine Eile, die Büchse der Pandora zu öffnen und sich in einem Duell mit wechselseitiger Zerstörung zu engagieren - auch wenn die Feuerkraft Israels größer war.

Gelegentlich verurteilte ein General oder ein rechter Politiker die „beschämende Situation“, mit der „Terroristen ein Gleichgewicht des Schreckens mit Israel aufgebaut haben“. Aber währenddessen wuchs die Tourismusindustrie in der Grenzregion stetig an und schuf mehr Arbeit.

Im Juli 2006 waren die PalästinenserInnen - und die Massen in der arabischen Welt - voller Ärger und Frustration über die scheinbare Unwilligkeit und/oder Unfähigkeit der arabischen Regime, eine bedeutsame Hilfe zur Verfügung zu stellen und die Zerstörung von Gaza zu beenden. Indem man einen unerwarteten Schlag gegen Israel in Solidarität mit den PalästinenserInnen ausführte - und indem zur gleichen Zeit Gefangene gemacht wurden, die mit den libanesischen Gefangenen in Israel ausgetauscht werden konnten - konnte der Führer der Hisbollah, Nasrallah, darauf hoffen, politisches Kapital zu schlagen: zu einem scheinbar annehmbaren Preis.

Solche Kalkulationen ignorierten aber die Dynamiken der Regierung Olmert-Peretz. Als eine Mitte-Links-Koalition gab es wenig Opposition von links, um sie zurückzuhalten und beträchtlichen Druck von rechts und dem Oberkommando der Armee, was die Aggressivität anstachelte.

In Gaza hatte Olmert gerade auf eine Politik der totalen Unnachgiebigkeit und unverhältnismäßigen Vergeltung für einen Grenzüberfall und die Gefangennahme eines Soldaten gesetzt. Seine Reaktion auf den Überfall der Hisbollah war eine logische Ausweitung dessen, indem er die gleiche Politik mit dem Angriff auf einen völlig souveränen Staat fortsetzte.

Die Opposition gegen den Krieg innerhalb der israelischen Gesellschaft stand völlig am Rande. Ein Krieg, der sich überraschend schnell entwickelte, fegte praktisch den größten Teil der vernünftigen Menschen von der Straße. Das erinnerte an Europa 1914.

Die Meretz-Partei in der Knesset wie auch die mit ihr alliierte Bewegung Peace Now (Frieden jetzt) gaben ihre Unterstützung des Krieges bekannt (auch wenn es in beiden Organisationen dissidente Stimmen gab).

International bekannte Figuren wie der Dramatiker Yehoshua Sobul oder die Schriftsteller Amoz Oz, A.B. Yehoshua und David Grossman sprachen sich explizit für den Krieg aus. So taten es auch drei Gründerinnen der Vier Mütter Bewegung, deren Kampagne in den 90er Jahren eine wichtige Rolle gespielt hatte, um die israelischen Truppen aus dem Libanon heraus zu bekommen.

In der israelischen öffentlichen Meinung herrschte die Wahrnehmung vor, von den Palästinensern/Arabern/Muslimen verraten worden zu sein: „Wir ziehen uns aus Gaza und dem Libanon zurück und sie zahlen es uns mit Überfällen und Raketen heim.“

Dies, zusammen mit den atomaren Bemühungen des Iran und den scheußlichen Erklärungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, erzeugte bei vielen Leuten ein Gefühl, dass es „sich dieses Mal um einen Existenzkampf“ handele und das Israel „die erste Schlacht im Dritten Weltkrieg gegen den islamischen Faschismus“ führt.

Das hatte eine weitverbreitete Gleichgültigkeit gegenüber der schrecklichen Verlusten in der Zivilbevölkerung im Libanon zur Folge. Die meisten Israelis, die ihre Informationen nur aus den hebräischsprachigen Massenmedien beziehen, waren sich kaum der toten Zivilisten im Libanon bewusst.

Die Kosovo-Doktrin

Der Kosovo-Krieg 1999 hatte großen Einfluss auf die Strategie der israelischen Armee. Auf seiner Grundlage wurde eine neue Doktrin formuliert, die davon ausgeht, dass der Einsatz von Infanterie und anderen Bodentruppen weitgehend überholt ist und der Schwerpunkt auf anspruchsvolle neue Flugzeuge und elektronische Ausrüstung gelegt werden sollte, mit denen massive Luftangriffe ausgeführt werden.

Mit Blick auf den Libanon hatte die Armee eine lange Liste von Zielen vorbereitet: Orte, an denen der militärische Geheimdienst versteckte Plätze von Raketen der Hisbollah mit großer Reichweite ausgemacht hatte; Orte mit Institutionen der Hisbollah aller Art; die privaten Wohnorte der Mitglieder der Hisbollah; Dörfer, Städte und Viertel, die als Hochburgen der Hisbollah angesehen wurden; die gesamte Infrastruktur im Libanon, auch in Gebieten, die der Hisbollah feindlich gegenüberstehen ...

Die direkten militärischen Fähigkeiten der Hisbollah sollten zerstört und neutralisiert werden; ihre Führer sollten getötet oder dazu gezwungen werden, sich zu verstecken; die sie unterstützenden Kommunen sollten terrorisiert werden, um die Unterstützung zurückzuziehen; die gesamte libanesische Bevölkerung sollte durch die Zerstörung der Infrastruktur und eine geschlossene Luft- und Seeblockade leiden und deshalb der Hisbollah Vorwürfe machen; die libanesische Regierung von Fuad Siniora sollte dazu gezwungen werden endgültig die Milizen zu entwaffnen.

Die Regierung nahm den Plan von Generalstabschef Dan Halutz in der Nacht nach dem 12. Juli in seiner Gesamtheit an. Seine Umsetzung begann sofort mit einem riesigen Feuer der beim internationalen Flughafen von Beirut gelagerten Ölvorräte, womit der Flughafen außer Dienst genommen werden musste.

Die Ortschaften im Süden Libanons waren flugs leer. Die Bevölkerung floh vor der Zerstörung, die vom Himmel regnete. Die israelischen Flugzeuge gaben zuvor Warnungen heraus, wo sie angreifen würden - aber in einigen Fällen bombardierten sie danach die Flüchtlingstrecks, die auf die Warnungen gehört hatten - mit grausamen Folgen, was international im Fernsehen zu sehen war (aber nicht in Israel).

Die massiven Luftschläge fanden wie geplant statt, aber der erwartete schnelle Sieg über die Hisbollah schlug fehl. Viele der Raketen der Hisbollah wurden tatsächlich zerstört - einhergehend mit beträchtlichen „Kollateralschäden“. Die Organisation hatte aber viel mehr, mehr als genug, um mit täglichen Salven von hundert oder zweihundert Raketen auf den Norden Israels Vergeltung zu üben.

Das gesamte Viertel Dahiya im Süden der Stadt Beirut wurde in Schutt und Asche gelegt. Dort lebten zuvor etwa 100.000 Menschen, zumeist Schiiten. Aber der Führer der Hisbollah, der normalerweise dort lebt, war bei dieser Vorstellung nicht anwesend.

Und von seinem Versteck aus gab Nasrallah weitere Interviews für das Fernsehen, oft auf die Abendnachrichten des israelischen Fernsehens abgestimmt, in denen er seine trotzigen Mitteilungen direkt an die israelische Öffentlichkeit richtete.

Es war selbstverständlich wahr, dass viele Libanesen nicht gerade glücklich waren, dass die Hisbollah sie in diese Schwierigkeiten brachte. Aber das führte nicht zum Verstoß der Hisbollah. Mit der zunehmenden Zerstörung und dem Blutbad tendierten alle LibanesInnen dazu, Israel für die Bombardierungen anzuklagen, die von den israelischen Flugzeugen ausgingen. Und in vielen Fällen applaudierten sie der Hisbollah für ihre Fähigkeit, zurückzuschlagen.

Die nach Art von Churchill gehaltenen Reden des israelischen Premierministers verfehlten indes den rechten Ton. „Die Heimatfront steht! Die Menschen aus dem Norden sind standhaft! Wir kämpfen einen gerechten Krieg für unsere Häuser! Zusammen werden wir siegen!“, wiederholten Olmert wie auch Peretz in ihren täglichen Reden.

In den Nachrichten wurden die Bewohner im Norden mit ihrer Opposition zu einem Waffenstillstand gezeigt. „Wenn es begonnen hat, lass die Armee ihren Job zu Ende führen, weg mit der Hisbollah ein für allemal!“ Aber nur langsam wurde klar, dass nicht Wenige schlicht vor den Raketen geflohen waren - in einigen Orten mehr als die Hälfte. Es waren diejenigen, die Familie oder Freunde in anderen Teilen des Landes hatten oder die sich ein Hotel leisten konnten. Zumeist war es der schwächere Teil der Bevölkerung, der dort geblieben war und sich mit täglichen Bombardierungen auseinandersetzen musste.

Der Sozialdienst der Regierung stellte unter Beweis, dass er unfähig war, den Menschen zu helfen, die Tag für Tag in überfüllte Bunker flüchteten. Manchmal waren alle Geschäfte geschlossen und es gab keine Möglichkeit, Lebensmittel einzukaufen.

Fast die Hälfte der fünfzig durch die Hisbollah-Raketen Getöteten in Israel waren arabische Bürger von Israel. Das ist nicht überraschend, da die Katjuschas eine sehr ungenaue Waffe und die Hälfte der Bevölkerung im Norden arabischer Herkunft sind. Auch die Stadt Haifa, ein wichtiges Ziel der Hisbollah, hat eine beachtliche arabische Bevölkerungsgruppe.

Wie bekannt wurde, hatten die arabischen Städte und Ortschaften keine Luftschutzeinrichtungen oder Luftschutzsirenen - entweder weil die Regierung nicht daran dachte, dass sie zum Ziel werden könnten oder als Teil einer generellen Fahrlässigkeit bei der grundlegenden Infrastruktur in den arabischen Gebieten.

Die gemeinsam erlebte Gefahr der Raketen und die gemeinsamen täglichen Verluste hätten dazu führen können, dass Juden und Araber in wechselseitiger Solidarität näher zusammenrücken. Das geschah aber nicht. Die Araber - einschließlich der von Familien, die Opfer zu beklagen hatten - weigerten sich, sich für den Krieg auszusprechen. In den Medien und dem politischen System wurde die Opposition der Araber zum Krieg als „Unterstützung für die Hisbollah“ interpretiert.

So hatte der Krieg zur Folge, dass die scharfen Stimmen gestärkt wurden, die die AraberInnen als „Fünfte Kolonne“ beschimpfen. Der widerliche Avigdor Lieberman hat seine Karriere damit aufgebaut und Umfragen zeigen, dass die Unterstützung für seine Partei wächst. Und er ist nicht allein: Seine Rivale auf der rechten Seite, der ehemalige Brigadegeneral Effi Etam fand die Zeit reif, um die Vertreibung der Araber aus der Westbank zu fordern, wie auch den „Ausschluss der arabischen Fünften Kolonne aus der israelischen Politik“.

Krieg als Knüller

Es war klar, dass der Luftkrieg nicht die weitreichenden Ziele erreichen würde, die Olmert und Peretz in den ersten Tagen zuversichtlich proklamiert hatten.

Die Luftwaffe schlug am Schlimmsten zu, mit einer 24-Stunden-Bombardierung, mit Zerstörungen und Tötungen. Sie wurde dabei unterstützt von der Artillerie und der Marine, die vor der libanesischen Küste kreuzte. Aber die Hisbollah wurde nicht gebrochen, wie sich in den täglichen Salven von Raketen auf den Norden Israels zeigte.

Nach einer Woche brachte der Generalstabschef Halutz die Idee ein, die Einrichtungen für die Stromversorgung im Libanon systematisch zu zerstören und den LibanesInnen mitzuteilen: Wenn ihr nicht kapituliert, dann „wird der Libanon in den nächsten zwei Jahren keine Elektrizität haben“.

Diese Idee wurde jedoch von den USA abgelehnt. Sie legten Veto ein, da die Zerstörung der libanesischen Stromversorgung auf Jahre hinaus sicher die Regierung des libanesischen Premierministers Siniora beendet hätte, der von Washington als „good guy“ angesehen wird. Ob es aber dafür sorgen könnte, die Hisbollah niederzuringen, war nicht sicher.

Für die israelische Regierung war nun eine Option, mit Verweis auf diese besonders drakonische Maßnahme einem Waffenstillstand zustimmen und zu erklären, dass der maßlose Preis für den Libanon eine ausreichende Vergeltung sei und als wirksame Abschreckung gegen jeden neuen Überfall wirken würde. Olmert und Peretz wären bei einem solchen Kurs aber dazu gezwungen gewesen, zu viele der voreilig ausgesprochenen Drohungen und überheblichen Versprechen zurückzunehmen.

Die andere Option war, Bodentruppen in den Libanon zu schicken, was bis dahin kein Kommentator von der Regierung angenommen hatte, so tief war das Trauma der Armee in den achtzehn Jahren im „libanesischen Sumpf“.

Angesichts des Dilemmas zwischen zwei unangenehmen Möglichkeiten, entschied sich die Regierung für den klassischen „faulen Kompromiss“. Sie schickte Stück für Stück Truppen in den Libanon, ohne klare Strategie und mit Plänen, die sich ständig änderten und überarbeitet wurden.

Zunächst versuchte die Armee im Libanon die Methoden zu kopieren, die sie so effektiv gegen die Palästinenser in Gaza angewandt hatte: eine schnelle Serie von Überfällen in das Gebiet der Hisbollah hinein.

Die Hisbollah hatte sich aber in den letzten sechs Jahren darauf vorbereitet. Es war klar vorhersehbar, welche Wege eine Invasion in den zerklüfteten Bergen nehmen würde und die Milizen hatten sich mit Panzerraketen und versteckten Stellungen darauf eingerichtet.

Der israelische Panzer Merkava, von seinen Erbauern zum „sichersten Panzer der Welt“ erklärt, war weit davon entfernt, undurchlässig für die Raketen zu sein. Und auch die Methode, zivile Häuser zu besetzen und sie zu militärischen Stellungen auszubauen, die in den palästinensischen Gebieten oft angewandt wird, wurde im Libanon zu einer gefährlichen Angelegenheit, da die Raketen der Hisbollah zeigten, dass sie leicht durch die dicken Wände kamen.

Schließlich ordnete die israelische Regierung die Mobilisierung von verschiedenen Reserveeinheiten an, die in Zeltlagern auf der israelischen Seite der Grenze lagerten. Ihnen wurde gesagt, sie sollten auf weitere Befehle warten. Zwölf von ihnen starben durch eine einzige Rakete. Wie sich herausstellte, hatten die Kommandeure einfache Vorkehrungen zum Schutz der Soldaten nicht umgesetzt.

Die Euphorie zerrinnt

Nun begann Olmerts Zeit für den Krieg abzulaufen. Unter zunehmendem Druck auf internationaler Ebene, machten die US-Amerikaner deutlich, dass sie ihm nicht unbegrenzt einen diplomatischen Deckmantel geben können. US-Generäle und Neo-Konservative waren offensichtlich enttäuscht, dass Israel keinen entscheidenden Sieg erringen konnte und wurden zunehmend skeptisch, ob der israelischen Luftwaffe ein solcher Sieg gelingen könnte, wenn sie weitere Zeit hätte.

Die US-Außenministerin Condoleeza Rice ging auf eine Tour durch den Nahen Osten um eine gemeinsame Formulierung für einen Waffenstillstand auf der Basis der Stationierung von starken UN-Streitkräften im Süden Libanons zu finden.

Rice traf sich privat mit Olmert in Jerusalem, und ihre Berater teilten der Presse mit, dass „ein Waffenstillstand kurz bevorstehe“. Zur gleichen Zeit meldeten die Nachrichten, dass bei einem israelischen Bombardement, dass ein dreistöckiges Wohnhaus zerstört hatte, Familien mit Kindern verschüttet worden waren, die im Keller Schutz gesucht hatten. Zunächst wurde die Zahl der Toten auf 60 geschätzt, später wurde gesagt, es seien „nur“ 28. Es geschah im Ort Kana im Süden Libanons, dem selben Ort, wo Hunderte von libanesischen Zivilisten bei einem israelischen Artillerieangriff auf ein UN-Camp ihren Tod gefunden hatten, eine frühere Gräueltat.

Die blutigen Bilder gingen um die ganze Welt und verursachten insbesondere im Libanon selbst Tumulte. Die Regierung Siniora wurde dazu genötigt, der US-Außenministerin mitzuteilen, dass der USA in der libanesischen Öffentlichkeit direkt für das Gemetzel die Schuld gegeben werde und dass ihre Rückkehr in den Libanon im Moment „unerwünscht und unmöglich“ sei.

Rice, so wurde berichtet, versuchte Olmert davon zu überzeugen, die Offensive im Libanon zu beenden. Sie hatte teilweise Erfolg: Die israelischen Luftangriffe wurden für 48 Stunden ausgesetzt (diese Maßnahme wurde von einem Sprecher aus dem Weißen Haus verkündet, nicht von offizieller Seite aus Israel, was Olmert in eine unangenehme Lage brachte). Aber die zeitweise Einstellung der Luftangriffe wurde noch am selben Tag durch die Regierung „ausgeglichen“, in dem sie eine großangelegte Bodenoffensive anordnete die „nur einige Kilometer tief“ sein sollte.

Das weckte schließlich die Hauptströmung der Friedensbewegung auf: Peace Now und Meretz führten ihre erste Protestaktion gegen den Krieg durch, allerdings wandten sie sich nur gegen die Ausweitung des Krieges und hielten den Beginn des Krieges nach wie vor für gerechtfertigt. Die drei Schriftsteller Oz, Yehoshua und Grossman bezogen nun leidenschaftlich Stellung für einen Waffenstillstand. Wie bekannt wurde, war Grossmans eigener Sohn unter den Soldaten, der in den letzten sinnlosen Tagen getötet wurde.

Am Schluss kamen die Nachrichten in der Nacht zum 11. August aus den USA: Der Sicherheitsrat hatte einstimmig die „Resolution 1701“ nach dem Entwurf von USA und Frankreich verabschiedet. Olmert gab sofort die Zustimmung Israels bekannt. Der Krieg schien vorbei zu sein; so dachten sicherlich viele der Soldaten an der Front und gratulierten sich gegenseitig für ihr Glück.

Leider war das verfrüht. Zur gleichen Zeit, als die Regierung die Zustimmung zum Waffenstillstand gab, führte die Armee die größte Offensive des gesamten Krieges durch: etwa 35.000 Soldaten wurde befohlen, in einem aussichtslosen und sinnlosen verzweifelten Kampf tiefer in den Libanon einzudringen, um „Fakten am Boden“ zu schaffen.

Der Waffenstillstand wurde schließlich zweieinhalb Tage später umgesetzt, 34 israelische Soldaten (und eine unbekannte Zahl von libanesischen Milizionären und Zivilisten) kamen zu den Todesopfern hinzu. Olmert und Peretz konnten nicht erklären, warum dieser Preis in irgendeiner Art und Weise der Mühe wert war.

Zeit der Abrechnung

Am Morgen des 14. August war der libanesische Alptraum endlich vorbei, während die Gräueltaten im Gaza weitergingen, ohne dass davon Notiz genommen wird. Die Straßen der israelischen Städte waren weiter voll von Aufklebern mit „Wir werden gewinnen!“, die in enormer Zahl von der israelischen Nationalbank Bank Leumi produziert und verteilt worden waren, mit einem Logo der Bank inklusive. Aber alle gingen davon aus, dass Israel den Krieg verloren hatte.

Obwohl nur einige gesagt hatten, dass der Krieg nicht hätte begonnen werden sollen, dachten viele, dass er früher beendet hätte werden sollen. Insbesondere hätte die letzte Offensive nicht stattfinden dürfen. Am deutlichsten gehört wurden die Stimmen von Soldaten - insbesondere Reservisten. Sie sprachen weniger von der großen Strategie und strittigen politischen Fragen, sondern mehr über konkrete Fehler und Fiaskos, die sie selbst erlebt hatten: Dass sie mit veralteten und fehlerhaften Waffen und Gerät in den Kampf geschickt wurden, nachdem sie Jahre für die Ziele trainiert hatten, die sie ausüben sollten; dass sie lebenswichtige Dinge von ihrem eigenen Geld besorgen mussten; dass die Logistik der Armee zusammenbrach und tief im Libanon kein Essen oder Wasser vorhanden war; dass Kommandeure widersprüchliche und sinnlose Befehle gaben und hinter der Front in den sicheren Kommandozentralen standen, wo sie den Kampf auf den Computerbildschirmen verfolgten.

Die Medien, die sich mehr als einen Monat lang patriotisch einen Maulkorb verpasst hatten, platzten mit sensationellen Enthüllungen heraus. Zeitungen und Fernsehprogramme wetteiferten wild um die sensationellste und schockierendste Geschichte.

In den Meinungsumfragen stürzten die Quoten für die Regierung insgesamt und insbesondere für Olmert und Peretz ab, während die rechten Parteien und Führer gewannen. Olmert und insbesondere Peretz sahen sich zudem einer zunehmenden Widerspenstigkeit ausgesetzt, größeren und kleineren Rebellionen innerhalb der jeweiligen Parteien, während Halutz wachsende Kritik von anderen Offizieren erhielt, ganz offen von ehemaligen Generälen und weniger offen von noch aktiven.

Schließlich fielen zwei Generäle durch ihre öffentliche Kritik ins Auge: Moshe Ya’alon, ehemaliger Generalstabschef, der von Sharon vor eineinhalb Jahren verabschiedet worden war; und Shaul Mofaz, der Olmert niemals vergeben hatte, dass er ihn als Verteidigungsminister abgesetzt und das Transportministerium übergeben hatte. Mofaz und Ya’alon lancierten massive Medienangriffe und verurteilten die Kriegführung. Ihnen wurde von der Gegenseite geantwortet, die beide anklagte, selbst den Löwenanteil der Verantwortung für die Fehler und das Fiasko des Krieges zu tragen, da beide in den vergangenen Jahren verantwortlich dafür waren, die Armee auf einen solchen Krieg vorzubereiten.

Zu dieser Atmosphäre des Zerfalls kam hinzu, dass genau zu dieser Zeit die Polizei eine intensive Untersuchung gegen den Präsidenten des Staates Israel begann, gegen Moshe Katzav. Es geht dabei um nichts weniger als um die sexuelle Belästigung einer Frau, die in seiner gegenwärtigen und früheren Position für ihn arbeitete. Diese Untersuchung kann zu einer Strafverurteilung führen.

Das israelische System kennt für diese Fälle die Einrichtung einer gerichtlichen Untersuchungskommission, die bereits zwei Mal dazu geführt hatte, hohe politische Funktionsträger von ihrem Posten zu entheben. Das forderte nun eine gutorganisierte Gruppe, die bekannt ist als „Bewegung für eine bessere Regierung“. Sie führten eine Kampagne gegen Regierungskorruption durch, die alle Menschen vereinigen sollte, „Rechte wie Linke, Religiöse wie Säkulare, Reiche und Arme“. Spontaneität und „rasender Ärger“ kam von den Reservisten. Auch extrem rechte Militante waren daran beteiligt, die sich weniger über den Krieg Sorgen machten, sondern sich von Olmert befreien und die Evakuierung der Siedlungen verhindern wollten. Auch einige Linke waren dabei, von den Medien als „Gegengewicht“ tituliert. Die Gruppe war aber weit davon entfernt, eine allgemeine Protestbewegung zu werden, was die Organisatoren erhofft hatten. Als sie ihre ultimative Karte spielten und zu einer Massendemonstration auf dem Rabinplatz in Tel Aviv aufriefen, kamen einige Zehntausend. Das machte auf diesem Platz keinen Eindruck und war sicher weit von der legendären Massendemonstration im Jahre 1982 entfernt, die Sharon zu Fall brachte.

Angesichts eines nicht sehr überwältigenden Druckes machte Olmert nicht sehr überwältigende Konzessionen. Er stimmte zu, der Untersuchungskommission große Macht zu geben, aber behielt die Ernennung der Mitglieder in den eigenen Händen.

Die Popularität von Olmerts Konvergenzplan stürzte vielleicht sogar stärker ab, als seine persönliche Quote. Während des Krieges hatte er noch davon gesprochen, den Plan umzusetzen und sogar prophezeit, dass der Krieg neuen Schwung bringe, was zu einem zornigen Aufschrei bei den Siedlern und ihren Unterstützern führte. Aber bald nach dem Waffenstillstand erklärte Olmert, dass der „Konvergenzplan eingefroren ist“.

Ein anderes Fenster?

Der Waffenstillstand im Libanon stabilisierte sich. UN-Einheiten trafen in beträchtlicher Zahl ein. Was viele nicht erwartet hatten: Die Hisbollah begann keinen Guerillakrieg gegen die israelischen Truppen, die immer noch Teile des libanesischen Territoriums in ihrer Hand hatten.

Vor allen Dingen klagten die Libanesen über die Luft- und Seeblockade ihrer Waren, die Olmert noch mehrere Wochen nach dem Waffenstillstand aufrecht erhielt. Sie behinderte ernsthaft die Möglichkeiten Libanons, mit der Reparatur der enormen Schäden zu beginnen. Wachsender internationaler Druck bewegte den Premierminister schließlich dazu, den Libanon von sich aus zu verlassen. Danach richtete sich das Augenmerk der internationalen Diplomatie wieder auf die PalästinenserInnen, die in den vorangegangenen zwei Monaten völlig im Schatten gestanden hatten.

Tony Blair kam in den Nahen Osten und drängte Olmert, die Gespräche mit Abu Mazen „ohne weitere Verzögerung“ wieder aufzunehmen. Er erhielt von Olmert eine Art Versprechen dafür. In Ramallah beglückwünschte er die Palästinenser zu ihren erneuerten Anstrengungen, ein Kabinett der nationalen Einheit zu konstituieren, mit Einschluss der Hamas, der Fatah und der kleineren Splittergruppen und versprach europäische Unterstützung für solch ein Kabinett. Er gab Hunderttausenden von PalästinenserInnen Hoffnung, die im öffentlichen Dienst arbeiten und seit über einem halben Jahr keinen Lohn erhalten haben.

Und nun, im Oktober 2006, scheint es eine diplomatische Bewegung bei den Palästinensern zu geben. Die miteinander verbundenen Vorschläge würden einschließen: ein neues palästinensisches Kabinett, die Rückkehr der gefangen genommenen israelischen Soldaten im Austausch mit Hunderten von palästinensischen Gefangenen. Trotz seines harten Standpunkts zuvor, scheint sich Olmert nun mit diesem Schritt abzufinden. Aber wie immer in solchen Situationen: Das empfindliche Thema von „

Adam Keller: Through the Fire. Aus: The Other Israel, September-Oktober 2006. Auszüge. Übersetzung: Rudi Friedrich und Thomas Stiefel. Der Beitrag erschien in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre "Israel: Stimmen für Frieden und Verständigung - Kriegsdienstverweigerung und Antikriegsarbeit", November 2006.Wir danken für die finanzielle Förderung durch den Katholischen Fonds, den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Bildungswerk Hessen der DFG-VK, dem Fonds der EKHN "Dekade zur Überwindung der Gewalt" und Brot für die WeltDie Broschüre ist vergriffen.

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