Mehmet Tarhan

Mehmet Tarhan

Türkei: Mehmet Tarhan verweigert die Männerrolle

von Rosa Lüste

(07.06.2005) Mehmet Tarhan ist in Militärhaft wegen "Ungehorsam vor versammelter Mannschaft", wie die offizielle, die militärjuristische Begründung nach Artikel 88 des Türkischen Strafgesetzbuches lautet. Er musste vor versammelter Mannschaft die Befehle verweigern, weil er trotz des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung, das die Türkei nicht anerkennt, am 8. April dieses Jahres verhaftet wurde und vor versammelter Mannschaft einen Marschbefehl unterschreiben sollte. Dies verweigerte er, weil er ein Kriegsdienstverweigerer ist. Seine Verweigerung hatte er schon im Jahre 2001 öffentlich erklärt.

Im Militärgefängnis in Sivas ist er Morddrohungen, Misshandlungen und Erpressungen von Mithäftlingen ausgesetzt, angestiftet und gedeckt vom Wachpersonal. Er wurde ausgeraubt, brutal misshandelt und mit Morddrohungen erpresst, nicht nur weil er den Militärdienst verweigert, sondern weil er lange Haare trägt und weil er offen schwul ist.

Er könnte, wie er es nennt, durch einen faulen Kompromiss entlassen werden und dem nächsten Prozess entgehen, wenn er einen entsprechenden Antrag stellen würde, dass er krank sei, nämlich an der Krankheit Homosexualität leiden würde, wie es immer noch in der Türkei gesehen wird. Das kommt für ihn natürlich nicht in Frage.

Dieses Militärdenken kennen wir auch aus Deutschland, aus der Zeit, als sogenannte feminine Homosexuelle nicht zur Bundeswehr sollten, weil sie die Ordnung in dieser männerbündlerischen Sozialgruppierung gefährden würden. Männer mit einer sogenannten Leistungsfunktionsstörung brauchten also nicht zum Militär und sollten es auch nicht, aber dieses staatliche Urteil der Leistungsfunktionsstörungen war für die Betroffenen gefährlich, wenn sie sich um eine Arbeitsstelle besonders im öffentlichen Dienst bewerben wollten.

Und die männlichen Monster, die eine solche "Leistungsfunktionsstörung" nicht haben, glauben nun, das Recht zu haben, aggressiv zu der anderen Sorte von Männern zu sein, die eben nicht nur den Militärdienst, sondern auch das lächerliche Männerbild verweigern, das einzig dazu existiert, um zu dienen: dem Staat, der Wirtschaft und allen, die so gerne zu ihrem eigenen Nutzen einen oder mehrere "Helden" an ihren Zügeln führen wollen.

Da fragt man sich doch, was heldenhaft daran ist, wenn man die Erwartungen erfüllt, statt, wie Mehmet Tarhan, sich auf mehrfache Weise verweigert. Die Verweigerung löst Hass bei dem Produkt dieser Dressur aus, das "richtiger Mann" genannt wird. Und es löst Hass bei denen aus, die sich solcher "Helden" so gerne zum eigenen Vorteil bedienen.

Gerade diese Helden-Männer-Rolle macht den Mann zu einem brauchbaren Erfüllungsgehilfen für den Nutzen anderer, für den er sogar sein Leben einzusetzen beziehungsweise gegebenenfalls aufzugeben hat. Diese Helden-Männer fühlen sich sogar großartig dabei und sind gerade darin so lächerlich, als nützliche Idioten.

Menschen halten andere Menschen wie Nutzvieh in einem Stall zu ihrem Vorteil. Und dieser Stall wird Staat genannt, oder, wie vielfach übersehen wird, auch Wirtschaft. Und außerhalb des Dienstes für Wirtschaftsprofiteure und Staat finden wir ähnliche kleinere Ställe vor, die es in unserer Freizeitwelt schon gibt oder die wir selber einrichten, weil wir es nicht besser verstehen, in unserer Freizeit, in der Familie zum Beispiel, wo alle Personen ihre Rolle zu erfüllen haben, für sogenannte höhere Ziele, die wiederum ihre Bedeutung in den Bedürfnissen von Wirtschaft und Staat haben.

Zurück zu den männerbündlerischen Sozialgruppierungen: Militär, Polizei, Fußballverein, die Straßengangs und andere derartigen Freundescliquen. Der Soziologe Schelsky meinte, dass für solche Einrichtungen die heterosexuelle frauenverachtende Zote als Stabilisierungsfaktor diene, sowie das Verachten aller als feminin gedeuteten Erscheinungsformen bei Männern. Erotik oder Sensibilität zwischen Männern sei gerade dieser Erziehung abträglich, zu der dort das männliche Wesen Mensch gemacht wird, zum Helden-Mann, dem Unempfindlichkeit eine Ehre ist.

Überall dort, wo Männer zusammen sind, findet auch mannmännliche Sexualität statt. Aber das darf nicht offen auftreten, schon gar nicht beim Militär. Und gegen dieses Tabu verstößt Mehmet Tarhan zusätzlich.

Die Gruppe Rosa Lüste schließt sich nicht nur aus den oben genannten Gründen der Forderung von Connection e.V., der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Landesverbände Hessen und Rheinland-Pfalz und der Initiative kurdischer und türkischer KriegsgegnerInnen (KTSKI) an:

  • sofortige Freilassung von Mehmet Tarhan;
  • schärfste Verurteilungen der Einberufung und Festnahme sowie der Misshandlungen und Morddrohungen im Gefängnis;
  • unverzügliche und uneingeschränkte Anerkennung des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung durch die Türkei;
  • Beendigung der Kriminalisierung von Kriegsdienstverweigerern, AntimilitaristInnen und Deserteuren.

Wir fügen aber aus den oben genannten Gründen noch eine Forderung hinzu:

  • Sofortige Beendigung der Diskriminierung, der Terrorisierung und Kriminalisierung von Menschen, die ihr Menschenrecht wahrnehmen, sich der vorgeschriebenen Geschlechtsrolle und der vorgeschriebenen sexuellen Objektwahl zu entziehen und die andere Formen des Geschlechtsrollenverhaltens sowie eine andere Ausrichtung der sexuellen Objektwahl bevorzugen.

Kontakt

Rosa Lüste, Postfach 5404, 65044 Wiesbaden, Tel. u. Fax: 0611-377765, http://www.rosalueste.de

Rosa Lüste: Redebeitrag anlässlich der Solidaritätsaktion für Mehmet Tarhan am 7. Juni 2005 vor dem türkischen Konsulat in Mainz. Veröffentlicht in Connection e.V. und AG "KDV im Krieg" (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Juli 2005.

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