Machtproben im Kaukasus

von Frank Bärmann

Das Verhältnis zwischen Georgien und Russland ist nicht erst seit zwei Jahrzehnten gespannt, als die Sowjetunion zerfiel. Im Artikel werden einige Hintergründe des Konfliktes dargestellt, der im August 2008 erneut eskalierte. (d. Red.)

Nach der Oktoberrevolution löste sich Georgien 1918 von der über hundert Jahre dauernden russischen Herrschaft. Doch die Unabhängigkeit hielt nicht lange. Bereits 1921 marschierte die Rote Armee ein, und Georgien wurde Teil der Sowjetunion. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion entfaltete sich erneut ein Bestreben nach nationaler Unabhängigkeit, was Georgien im April 1991 durchsetzte.

Der Kaukasus ist eine Vielvölkerregion zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Im Norden wird Georgien von Russland, im Süden von der Türkei und Armenien, im Osten von Aserbaidschan begrenzt. Georgien hat nur wenig Rohstoffe und nicht viel Industrie, seine Bevölkerung ist bettelarm. Das internationale Interesse weckte Georgien erst durch den Bau der Pipelines vom Kaspischen zum Schwarzen Meer und später über die Türkei zum Mittelmeer. Die Fläche Georgiens entspricht mit ca. 70.000 Quadratkilometern der Größe Bayerns. Nur knapp 60% der ohnehin kleinen Fläche sind bewohnbar, der Rest ist unwegsames Hochgebirgsland.

Heute hat Georgien rund 4,5 Millionen Einwohner. Davon leben über 1,2 Millionen in der Hauptstadt Tiflis. Seit der staatlichen Unabhängigkeit 1991 haben knapp eine Million Menschen aus wirtschaftlichen, aber auch aus ethnischen Gründen das Land verlassen. Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Durch diese Abwanderung hat sich der Anteil der georgischen Bevölkerung von 67% auf heute 84% signifikant erhöht.

Im Nordwesten Georgiens liegt am Schwarzen Meer die autonome Republik Abchasien und im Norden das Gebiet Südossetien. Beide Gebiete beanspruchen staatliche Unabhängigkeit und stehen derzeit nicht unter der Kontrolle der georgischen Regierung. Abchasien, Adscharien und Südossetien verfügten zu Zeiten der Sowjetunion über einen autonomen Status mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten.

Während die Sowjetunion am Auseinanderbrechen war, erstarkten in Georgien nationale und antisowjetische Kräfte und stellten die Autonomie der Minderheiten in Frage. Im September 1990 brachen bewaffnete Kämpfe zwischen ossetischen Separatisten und georgischen Milizen aus und endeten knapp zwei Jahre später mit einem Waffenstillstandsabkommen und einer Abspaltung Südossetiens von dem noch jungen Staat Georgien. Zur Stabilisierung der umkämpften Region wurde eine gemischte Friedenstruppe, bestehend aus Russen, Georgiern und Südosseten, installiert. Die aus diesem Konflikt hervorgegangene südossetische Regierung wurde weder von der internationalen Staatengemeinschaft noch von Russland anerkannt. Mit Abchasien einigte sich Georgien 1994 auf einen Waffenstillstand. Einen Gewaltverzicht hat Georgien aber bis heute nicht geleistet.

Nach der sogenannten Rosenrevolution im November 2003 musste Eduard Schewardnadse zurücktreten. Georgiens neuer Präsident und Gründer der Partei ‚Nationale Bewegung’ Michail Saakaschwili versprach bei seinem Amtsantritt Anfang 2004, die abtrünnigen Regionen wieder in Georgien einzugliedern. Mit der dritten Separatistenregion Adscharien gelang ihm die Eingliederung schnell, doch in den anderen beiden Gebieten führte Saakaschwilis Bestreben im August 2004 erneut zu blutigen Kämpfen. Vor diesem Hintergrund verteilte Moskau an die Bewohner Südossetiens unter großem Protest Georgiens russische Pässe. Die selbsternannten Regierungen in Südossetien und Abchasien forderten eine international anerkannte Unabhängigkeit nach dem Beispiel des Kosovo.

Südossetien hat 75.000 Einwohner und ist etwa eineinhalb Mal so groß wie das Saarland. Seine Wirtschaftskraft erschöpft sich in der Landwirtschaft, im Obst- und Weinbau und im Transithandel nach Russland. Eine eigene Energieversorgung fehlt. Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 40 und 60%. Das sind keine günstigen Rahmenbedingungen, sich als eigenständiger Staat zu behaupten. Südossetien ist auf Russland angewiesen.

Krieg im August 2008

Der jüngste Konflikt um Südossetien zeigt, wie verhärtet die Positionen der Kriegsparteien sind. Selbst über den Tag des Kriegsbeginns wird noch gestritten. Nach Saakaschwilis Rechnung hatte der Krieg erst am Donnerstag begonnen, obwohl bereits am Mittwoch, dem 6. August 2008, Zchinwali unter starkem Feuer und schweren Raketeneinschlägen georgischer Einheiten stand. Zwei Tage später rückten russische Panzer an und Kampfflugzeuge bombardierten georgische Stützpunkte in Südossetien. Genau für diesen Tag hatten Südossetien und Georgien vor längerem die ersten direkten Gespräche seit einem Jahrzehnt vereinbart. Statt dessen musste der Kommandeur der russischen Friedenstruppen in Südossetien mitteilen, dass inzwischen Zchinwali, die Hauptstadt Südossetiens, weitgehend zerstört war.

Schon im April 2008 schien die Region kurz vor einer militärischen Auseinandersetzung, nachdem Georgien mehrere unbemannte Aufklärungsflugzeuge nach Abchasien geschickt und ein russisches Flugzeug eine dieser Drohnen abgeschossen hatte. Deswegen griff der Konflikt um Südossetien schnell auf die Region Abchasien über und führte zu einer weiteren Front. Kampfflugzeuge bombardierten das obere von Georgien kontrollierte Kodori-Tal.

Auf diesen Konflikt hatte sich Saakaschwili in den vergangenen Jahren vorbereitet und mit Hilfe der USA und Israels die georgische Armee zu einer schlagkräftigen und modernen Truppe aufgerüstet. Noch wenige Tage zuvor trainierte diese Armee gemeinsam mit etwa tausend US-amerikanischen Soldaten in Georgien. Auch bei der Verlegung einer georgischen Brigade aus dem Irak nach Georgien waren die USA willige Handlanger und übernahmen die Rückflüge. Doch all diese Bemühungen blieben vergebens. Am Sonntag, dem fünften Kriegstag, zogen sich die georgischen Streitkräfte zurück und verlangten eine Waffenruhe. Russland hatte nach massivem Einsatz von Heer, Luftwaffe und Marine die militärische Überlegenheit hergestellt.

Obwohl Saakaschwili den Krieg verloren hatte, inszenierte er sich als Sieger und ließ sich in Tiflis trotz der Niederlage feiern. Die Opposition hatte Saakaschwili in seiner Regierungsarbeit jahrelang bekämpft, jetzt stand selbst sie gerührt vor dem Scherbenhaufen und propagierte nationale Einheit. Noch bei der Präsidentenwahl im Mai wurde die Opposition während ihres Protests gegen den Wahlbetrug ausgetrickst, indem Saakaschwili einen Überfall abchasischer Heckenschützen auf zwei Busse mit georgischen Wählern an der Grenze zu Abchasien inszenieren und sich medienwirksam am Wahlabend zu den vermeintlich Angegriffenen fliegen ließ. Bis zum Krieg war die Haltung zur Regierung Georgiens gespalten, doch die Niederlage hat den Patriotismus gestärkt und die Georgier in der Wut auf Russland geeint. Außenpolitisch wirkte der Krieg ebenfalls einigend. Während im Kriegsgebiet noch das Chaos dominierte, setzte Kanzlerin Merkel in Tiflis Prioritäten und erklärte, Georgien werde, wenn es das wolle, Mitglied der NATO werden. Noch im April, auf dem Gipfel der NATO in Bukarest, hatte Deutschland vorerst eine Mitgliedschaft Georgiens abgelehnt. Der Krieg brachte politische Veränderungen, die ohne ihn so leicht nicht zu haben gewesen wären.

Die Leidtragenden jener Tage waren die Bewohner der Region. In den Trümmern Zchinwalis harrten Tausende Zivilisten aus, und Zehntausende flüchteten von Südossetien aus in den Norden. Lebensmittel und Medikamente waren knapp. In den Straßen lagen Leichen zwischen zerbombten Gebäuden. Die Krankenhäuser waren überfüllt, und operiert wurde auf den Fluren.

Die militärischen Angriffe Russlands galten nicht nur Georgien, sondern auch Europa und den USA, indem der Rohstofftransit durch das Bombardieren der Pipelines, durch das Besetzen des Ölhafens in Poti und durch die Seeblockade an der Schwarzmeerküste gestört werden sollte. Den Bau der transkaukasischen Pipeline propagierten die USA seit Ende der 90er Jahre mit dem Ziel, weniger vom Rohöl aus dem Persischen Golf abhängig zu sein. Auf diese Weise erhielt Georgien eine geopolitische Schlüsselposition für die NATO und die Europäische Union beim Erschließen der Öl- und Gasfelder am Kaspischen Meer. Von Anfang an war Russland dieses Unternehmen ein Dorn im Auge. Doch damit nicht genug. Das russische Transitmonopol wird noch stärker einbrechen, sobald sich die Pläne konkretisieren, außer Öl auch noch Gas aus Kasachstan über georgisches Territorium nach Europa zu exportieren.

Bald nachdem die Waffenstillstandsvereinbarung unterschrieben war, verstärkte die NATO unter dem Vorwand der humanitären Hilfe ihre militärische Präsenz im Schwarzen Meer, indem zum Ärger der Russen US-Kriegsschiffe Hilfsgüter nach Georgien brachten. Handelsschiffe hätten hier wahrlich bessere Dienste geleistet. Zum Entsetzen der USA und der Europäischen Union erkannte zwei Tage später Russland die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an. Und wenig später folgte auch Nicaragua. Der Westen verurteilte diese Entscheidung und warf Russland den Bruch des Völkerrechts vor. In der Europäischen Union wurden Drohszenarien aufgebaut und Russland Expansionsstreben unterstellt. Unter großem Aufsehen reisten Politiker ins Baltikum und bekundeten Solidarität, als stünden russische Panzer bereits kurz vor Riga. Der französische Außenminister befürchtete die Invasion der Russen auf die Krim, in die Ukraine und nach Moldawien. Und Polen konnte nicht schnell genug das zuvor umstrittene Abkommen mit den USA zur Stationierung des US-Raketenschilds auf ihrem Territorium unterzeichnen. Ganz Europa litt unter überspannten Vorstellungen.

Georgiens Politik wurde entsprechend Saakaschwilis Absichten in den Medien kommuniziert. Und dazu hat Georgien für jährlich knapp eine Million Euro einen PR-Agenten1 in Brüssel engagiert. Ein derart hohes Honorar zahlt nicht einmal die Europäische Kommission. Die Untrennbarkeit der Worte Demokratie und Georgien soll im Westen mit dem Ziel des NATO-Beitritts kommuniziert werden. Entsprechend hatte die Agentur für den Fall eines Krieges eine PR-Strategie erarbeitet. Doch nicht alles, was diese Maschinerie fabrizierte, entsprach den Tatsachen. Der PR-Agent vermeldete, die Russen hätten Gori eingenommen, was zum Zeitpunkt der Pressemitteilung nicht stimmte. Die Russen waren erst im Anmarsch. Zu den gezielten Kriegslügen zählte auch die Meldung über angebliche Tieffliegerangriffe und Bomben auf Tiflis. Die New York Times fasste die Ereignisse so zusammen: Die Russen haben auf dem Boden gesiegt, aber nicht in den Medien. Die Bevölkerung Südossetiens und Abchasiens ist zum Schussfeld internationaler Interessen geworden. Den Konflikt hat der Krieg nicht gelöst, sondern noch verschärft.

Fußnote

1 Der PR-Agent Georgiens ist James Hunt, Chef von aspect consulting. Vgl. Cerstin Gammelin: Die Strategen der Wortschlacht. Süddeutsche Zeitung vom 29.08.2008

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Machtproben im Kaukasus«, Februar 2009

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