An den Außengrenzen der EU lauert FRONTEX und der Tod

von Rudi Friedrich

Am 6. Juni 2009 fand in Mainz eine Demonstration unter dem Titel „Freiheit statt Angst - Gegen Überwachung und Zensur” statt. Rudi Friedrich von Connection e.V. hatte dort die Gelegenheit, näher auf die Flüchtlingspolitik der EU einzugehen (d. Red.)

Jährlich sterben Tausende Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Es ist eine alltägliche Tragödie, die fast unbemerkt an den Ostgrenzen, auf den Meeren zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln, zwischen Nordafrika und Malta oder Italien und zwischen der Türkei und Griechenland stattfindet. 1.500 Tote wurden für das Jahr 2008 bekannt, aber niemand weiß die tatsächliche Zahl. Sie dürfte weitaus höher liegen.

Was bringt Menschen aus Afrika, aus dem Nahen Osten oder Afghanistan dazu, den gefährlichen Weg nach Westeuropa zu gehen? Wir von Connection e.V. beraten viele Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Deserteurinnen, die aus anderen Ländern zu uns nach Deutschland kommen. Sie berichten, was sie in ihrem Heimatland und auf der Flucht erlebt haben. Ihre authentischen Geschichten geben ein klares Bild: Die meisten Menschen flüchten aus ihrem Land, weil es dort bewaffnete Konflikte, Kriege, Diktaturen oder schlicht Armut gibt. Sie sind von Haft, Folter und Verfolgung bedroht oder ihnen wurden die Lebensgrundlagen entzogen. All das bedroht sie so sehr, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, als zu fliehen und sich skrupellosen Schleppern anzuvertrauen. Gerne würden sie zurückkehren, aber die Situation lässt es nicht zu.

Ohne Zweifel gibt es zahlreiche Gründe für diese Situation in ihren Herkunftsländern. Aber auch die Europäische Union und USA sichern ihre machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der jeweiligen Bevölkerung ab. Gerade die Länder in Afrika bleiben so in der Armutsfalle. Unter den 34 ärmsten Ländern liegen 30 in Afrika. Der freie Zugang für Exporte ist unserer Regierung wichtiger als das Wohl der Menschen in diesen Ländern, das müssen wir ändern.

Die Regierung sagte uns, die Grenzen würden abgeschafft. Und es stimmt: die Schlagbäume an den Binnengrenzen der Europäischen Union sind weitgehend gefallen. Die Kosten tragen aber alle Menschen, die in die Europäische Union einreisen wollen. Für sie wurden schärfere Visaregelungen eingeführt. In einer zentralen EU-Datei werden alle ihre Daten gespeichert: über Einreise, Ausreise und Behördenkontakte. Zudem wurden die Kontrollen an den Grenzen verschärft. Mit Radartürmen, Nachtsichtgeräten, Wärmebildkameras und Kohlendioxydsonden werden Migranten aufgespürt, die illegal die Grenze überschreiten wollen.

Ergänzt wird dies durch ein System von Rückführungsabkommen, die es z.B. mit dem Senegal, Algerien, Tunesien, Marokko oder Libyen gibt. Das bedeutet für die Flüchtlinge: Wenn sie über diese Länder in die EU einzureisen versuchen, werden sie unverzüglich zurückgeschoben. Ihnen wird der Anspruch auf einen Asylantrag verwehrt. Amnesty international berichtete davon, was dann geschieht: Sie werden zu Tausenden festgenommen, misshandelt und in die Nachbarländer abgeschoben oder ohne Verpflegung an der Grenze ausgesetzt.

Verantwortlich für all dies ist in erster Linie eine Politik, die auf Abschottung setzt. Die Europäische Union wird zu einer Festung ausgebaut, bei der auch die Migranten als Bedrohung gesehen werden. Ich zitiere aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien: „Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terrorismus, der Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die Sicherheit aus. Ihnen kann nur durch ein System globaler kollektiver Sicherheit begegnet werden.“ So werden Flüchtlinge zur Bedrohung erklärt. So wird ein militärisches Vorgehen gegen Menschen legitimiert, die in ihrer höchsten Not Schutz in einem anderen Land suchen. Es ist eine unvergleichlich zynische Politik mit verheerenden Folgen.

Koordiniert wird all dies über die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX. Auch Deutschland beteiligt sich daran. Der Etat wurde von 2007 auf 2008 glatt verdoppelt, von 35 auf 70 Millionen Euro.

FRONTEX agiert faktisch in einem rechtsfreien Raum. Flüchtlinge werden nicht nur auf dem Meer aufgegriffen und zurückgebracht. Es gibt auch dokumentierte Fälle, in denen Treibstoff und Nahrungsmittel der Flüchtlinge auf hoher See beschlagnahmt werden, um sie zur Umkehr zu zwingen. FRONTEX ist damit praktisch eine staatlich legitimierte Organisation, die Krieg gegen die Flüchtlinge führt.

Die Ausgrenzungspolitik richtet sich aber auch gegen diejenigen, die den Weg in die Europäische Union geschafft haben. Minimale Anerkennungsquoten von Flüchtlingen und Sondergesetze sorgen dafür, dass ein großer Teil der MigrantInnen illegalisiert wird und daher rechtlos ist. Sie sind prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen mit der ständigen Gefahr der Abschiebung ausgesetzt. Als schwächstes Glied unserer Gesellschaft sind sie als erstes von sozialen, rechtlichen und finanziellen Einschränkungen betroffen, als Testfall für weitere unterprivilegierte Gruppen.

Ich will Euch kurz ein Beispiel für das verschärfte Vorgehen gegen Migranten berichten, dass ich selbst vor wenigen Tagen in Würzburg erlebt habe. Als ich auf dem dortigen Hauptbahnhof auf den Anschlusszug wartete, stellte ich fest, dass dort die Bundespolizei aktiv ist. Je zwei Beamte kontrollierten zwischen der Ankunft und der Abfahrt der Nahverkehrszüge den Bahnsteig und gingen anschließend durch die Züge selbst. Die Polizisten suchten dort gezielt nach farbigen Menschen. Sie kontrollierten alle, die nach ihren Kriterien vermutlich nicht-deutsch sind. Wie ich herausfand, war das keine einmalige Sache, es ist einfach die übliche Praxis. Es ist Folge von Gesetzen, die der Bundespolizei eine verdachtsunabhängige Kontrollmöglichkeit in Bahnhöfen zusichert. So sieht der alltägliche Rassismus deutscher Behörden aus.

An den Außengrenzen lauert FRONTEX und der Tod. Im Inland wird kontrolliert, drangsaliert und der Rassismus geschürt. Was wir stattdessen brauchen: Eine gerechte Wirtschaftspolitik, offene Grenzen und eine freie und offene Gesellschaft.

Rudi Friedrich: Redebeitrag am 6. Juni 2009 in Mainz. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juli 2009

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