André Shepherd

André Shepherd

Asylantrag für den US-Verweigerer André Shepherd

Ausführliche Begründung durch den Rechtsanwalt - Teil II

von Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx

Teil 1 - Teil 2

2. Anknüpfung an Verfolgungsgründe (Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG)

Die dem Antragsteller drohende Verfolgungshandlung knüpft an den Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG) an und richtet sich auch gegen seine politische Überzeugung (Art. 10 Abs. 1 Buchst. e) RL 2004/83/EG

a) Verfolgung des Antragstellers wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 10 Abs. 1Buchst. d) RL 2004/83/EG)

Die dem Antragsteller drohende Verfolgungshandlung in Form der Strafverfolgung knüpft an seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne von Art. 1 A Nr. 2 GFK in Verb. mit Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG an. US-Soldaten, die den konkreten Einsatz im Irak verweigern, um sich nicht völkerrechtswidriger Handlungen schuldig zu machen, stellen eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne dieser Normen dar. Die ihnen drohende Verfolgung beruht damit auf dem Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe.

aa) Nach Art. 1 A Nr. 2 GFK gilt eine Gruppe insbesondere als eine »bestimmte soziale Gruppe«, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale (z. B. Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Abstammung, Erbgut) oder einen unveränderbaren Hintergrund (historische Bindung, berufliche oder soziale Stellung) gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen der Mitglieder sind (z. B. Mitglieder einer Gewerkschaft oder Partei, Journalist, Kritiker), dass diese nicht gezwungen werden sollten, auf diese zu verzichten. Vorliegend ist die Gewissensentscheidung des Antragstellers, sich mit der weiteren Erfüllung seiner militärischen Dienstpflichten nicht der Begehung von völkerstrafrechtlichen Delikten schuldig zu machen, derart bedeutsam für seine Identität, dass er nicht gezwungen werden kann, auf diese zu verzichten.

Nach der Begründung des Kommissionsentwurfs enthält Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG Regeln für die Auslegung des Begriffs »Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe«. Hierbei handle es sich um eine »bewusst relativ allgemein gehaltene Formulierung, die umfassend auszulegen« sei. Eine Gruppe lasse sich anhand eines wesentlichen Merkmals wie des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung, des Alters, der familiären Bindung oder der Lebensgeschichte oder anhand eines Attributs definieren, das so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sei, dass von den Mitgliedern der Gruppe nicht verlangt werden dürfe, darauf zu verzichten. Beispiele hierfür seien die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder die Zugehörigkeit zu einer Menschenrechtsgruppe (Kommissionsentwurf v. 12. 9. 2001, in: BR-Drs. 1017/01, S. 24).

Das Exekutivkomitee des Programms von UNHCR geht in seiner Empfehlung Nr. 85 (XLIX) zum "Internationalen Rechtsschutz" für die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen der GFK und des New Yorker Protokolls davon aus, dass die Vertragsstaaten "gemeinsam auf die weltweite und uneingeschränkte Umsetzung dieser Übereinkommen" hinarbeiten müssen. In der Empfehlung Nr. 89 (LI) von 2000 hebt das Exekutivkomitee ausdrücklich hervor, "dass der internationale Rechtsschutz eine dynamische und handlungsorientierte Aufgabe ist, die in Zusammenarbeit mit den Staaten und anderen Partnern ausgeübt" werde. Ebenso wird in der völkerrechtlichen Literatur die Konvention als "lebendiges und sich entwickelndes Instrument" (Guy S. Goodwin-Gill, Asylum 2001 – A Convention and a Purpose, in: Band 13, International Journal of Refugee Law, S. 1, 13 (2001), "living and evolving instrument”) bezeichnet. Dies schließt es auch aus, dass die Vertragsstaaten durch eine bestimmte Auslegung entgegen dem Grundsatz des "effet utile" einen Vertrag oder einen seiner Teile seiner vollen Wirksamkeit berauben. Darüber hinaus darf die Anwendung dem Vertrag nicht einen Sinn geben, der seinem Wortlaut und Geist widerspricht (Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, 1984, § 780 (S. 494)).

Bei der "bestimmten sozialen Gruppe" handelt sich um ein Diskriminierungsverbot, das begrifflich so zwar in keinem vor und nach Verabschiedung der Konvention entwickelten menschenrechtlichen Instrument verwendet wurde bzw. je wieder verwendet worden ist. Jedoch untersagt das Diskriminierungsverbot des Art. 2 Nr. 1 AEMR die Diskriminierung wegen der "sozialen Herkunft", des "Eigentums" oder "sonstiger Umstände", was der Sache nach auf dasselbe hinausläuft. Die für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages maßgebende nachträgliche Staatenpraxis (Art. 31 Abs. 3 Buchst. a) WVRK) hat im Sinne der dynamischen Auslegung der Konvention Frauen, Familien, Stämme, Berufsgruppen und Homosexuelle als bestimmte soziale Gruppe anerkannt. Die Konvention enthält entsprechend ihrem dynamischen Charakter keine konkrete Liste sozialer Gruppen noch kann aus der Entstehungsgeschichte hergeleitet werden, dass es eine abgeschlossene Reihe identifizierbarer Gruppen gibt. Vielmehr ist der Begriff »entwicklungsoffen« für die vielfältigen und sich wandelnden Erscheinungsformen von Gruppen in verschiedenen Gesellschaften und abhängig von den Entwicklungen im Bereich der internationalen Menschenrechtsnormen auszulegen und anzuwenden. Dementsprechend wird in der Begründung des Kommissionsentwurfs auch darauf hingewiesen, dass die Formulierung der bestimmten sozialen Gruppe sich nicht auf genau definierte kleine Personengruppen beschränke (Kommissionsentwurf v. 12. 9. 2001, in: BR-Drs. 1017/01, S. 249).

bb) Inzwischen ist geklärt, dass der zunächst in der US-amerikanischen Rechtsprechung entwickelte Ansatz, demzufolge die Mitglieder der sozialen Gruppe ein »gemeinsames unveränderbares Merkmal« teilen müssen (Board of Immigration Appeals, 19 I&N Dec. 211 (B. I. A. 1985) – Matter of Acosta; s. hierzu Pamela Goldberg/Bernadette Passade Cisse, Immigration Briefings 2000, 1 (10 f.)), zu eng ist. Vielmehr haben die US-Berufungsgerichte die weitergehende Interpretation entwickelt, die für die Gruppe kein gemeinsames inneres Band fordert. Es besteht deshalb inzwischen Einigkeit, dass eine »bestimmte soziale Gruppe« eine Gruppe von Personen darstellt, die ein gemeinsames Merkmal kennzeichnet, das sie aus der Gesellschaft ausgrenzt, welches die Personen aber nicht miteinander verbinden muss. Darüber hinaus muss das Merkmal unveränderbar oder auf andere Weise fundamentale und damit unverzichtbare Bedeutung für die menschliche Würde haben (Summary Conclusions on Membership of a Particular Social Group, San Remo Expert Roundtable, Global Consultation on International Protection, 6. bis 8. September 2001). Dementsprechend fordert Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG auch keinen inneren Zusammenhalt der Gruppe.

Nach Ansicht von UNHCR kommt es nicht darauf an, dass die Mitglieder einer bestimmten sozialen Gruppe miteinander Umgang pflegen. Vielmehr stehe die Frage im Vordergrund, ob die Mitglieder der Gruppe eine Gemeinsamkeit haben. Diese Fragestellung entspreche der Analyse für die anderen Verfolgungsgründe in Art. 1 A Nr. 2 GFK, bei denen auch nicht gefordert werde, dass die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft oder Personen mit übereinstimmender politischer Überzeugung miteinander verkehrten oder Teil einer eng verwobenen Gruppe sein müssten (UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe” im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Mai 2002, S. 5).

cc) Im Blick auf die das Gewissen prägende Identität, welche so bedeutsam ist, dass ein Verzicht hierauf nicht erzwungen werden sollte, können die Menschenrechtsnormen mithelfen, jene Merkmale zu identifizieren, die so grundlegend für die menschliche Würde sind, dass niemand gezwungen werden sollte, sie aufzugeben. Dabei ist festzustellen, dass die derzeitige Entwicklung im Völkerrecht auf einen universellen Trend zur Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen hinweist, dem bei der Interpretation der das Gewissen prägenden Identität im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG Rechnung zu tragen ist.

Der Gerichtshof hatte zunächst Beschwerden niederländischer Soldaten, die aus Gewissensgründen Befehlsverweigerung begangen hatten, im Blick auf Art. 5 EMRK nicht als Konventionsverletzung angesehen (EGMR, HRLJ 1986, 321 ((331 ff.) (§ 42 ff.)) – De Jong et. al v. The Netherlands). Im Falle eines tschetschenischen Kriegsdienstverweigerers, der wegen seines Einsatzes in der tschetschenischen Armee im ersten Tschetschenienkrieg durch russische Behörden eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung befürchtete, hatte er hingegen die Beschwerde für zulässig erklärt. Im Falle eines Geistlichen der Zeugen Jehovas, der sich für seine Dienstpflichtverweigerung auf die Militärdienstbefreiung zugunsten anderer anerkannter Religionsgemeinschaften berufen hatte und deshalb inhaftiert worden war, erkannte der Gerichtshof in der freiheitsentziehenden Maßnahme eine Diskriminierung der Glaubensgemeinschaft der »Zeugen Jehovas«. Die Inhaftierung wegen der Dienstverpflichtverletzung des Beschwerdeführers sei deshalb nach dem innerstaatlichen Recht nicht gerechtfertigt gewesen und damit willkürlich (EGMR, Entscheidung v. 25. April 1997 – Application No. 54/1996/673/859–860 – Tsirlis and Kouloumpas v. Greece). In einem weiteren Fall eines Zeugen Jehovas, der sich bei einer generellen Mobilmachung geweigert hatte, eine Uniform zu tragen und allein deswegen zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 9 EMRK fest (Entscheidung v. 6. April 2000 – Application No. 34369/87 – Thlimmenos. v. Greece).

Es ist sicherlich zutreffend, dass bislang ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen noch keine völkervertraglich verbindliche Anerkennung gefunden hat. Seit der durch die Vereinten Nationen erstellten Studie über Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Questions of Conscientious Objection to Military Service, Report by Asbjörn Eide and Chama Mubanga-Chipoya, U. N. Doc. E/CN.4/Sub.2/1983/30, 27. 6. 1983; s. auch Asbjörn Eide, Vereinte Nationen 1986, 60) entwickelt sich jedoch ein allgemeiner Trend zur Anerkennung dieses Rechtes, wie insbesondere auch an der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen (Human Rights Committee, HRLJ 1986, 267 (270) (§ 5.2) – L. T. K. v. Finland) und nicht zuletzt auch durch Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG deutlich wird.

Der Ausschuss hatte zunächst festgestellt, weder Art. 18 noch Art. 19 IPbpR gewährleisteten ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Human Rights Committee, HRLJ 1986, 267 (270) (§ 5.2) – L. T. K. v. Finland). Er hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Frage der Wehrdienstverweigerung aus ethischen Gründen eine im Zusammenhang mit Art. 18 IPbpR zu berücksichtigende Frage aufwerfe (Human Rights Committee, HRLJ 1985, 237 (239) (§ 3) – Paavo Muhonen v. Finland). In seinem Allgemeinen Kommentar Nr. 22 (1994) zu Art. 18 IPbpR stellt der Ausschuss fest, viele Personen würden unter Bezugnahme auf Art. 18 IPbpR ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen beanspruchen. In Reaktion hierauf befreie eine zunehmende Zahl von Staaten nach ihrem nationalen Recht Personen von der Wehrdienstleistung und unterwerfe diese einer alternativen Dienstpflicht, wenn sie aus echten religiösen oder anderen Gewissensgründen die Wehrdienstleistung ablehnten. Zwar enthalte der Pakt nicht ausdrücklich ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Der Ausschuss gibt aber seiner Überzeugung Ausdruck, dass ein derartiges Recht aus Art. 18 IPbpR hergeleitet werden könne, sofern die Verpflichtung zur Anwendung tödlicher Gewalt zu einem ernsthaften Konflikt mit der Gewissensfreiheit sowie der Freiheit führe, seine religiöse oder Gewissensüberzeugung zu bekunden (U. N. Doc. HRI/GEN/1/Rev. 1, 29. 7. 1994, General Comment 22, Rdn. 11, S. 38).

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mit Resolution 1989/59 das Recht eines jeden Menschen anerkannt, im Rahmen der in Art. 18 IPbpR garantierten legitimen Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit aus Gewissensgründen den Wehrdienst zu verweigern. Zugleich hat die Generalversammlung die Staaten aufgefordert, Rechtsvorschriften zu erlassen und Maßnahmen zu ergreifen, die bei Vorliegen echter Gewissensgründe für die Verweigerung des Militärdienstes mit der Waffe die Freistellung vom Wehrdienst vorsehen. Die Beratende Versammlung des Europarates hatte bereits mit Empfehlung 816 (1977) das Recht der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Menschenrecht bezeichnet und auf diese Empfehlung in der Entschließung 102 (1994) über »Fahnenflüchtlinge und Wehrdienstverweigerer aus den Republiken des ehemaligen Jugoslawien« erneut hingewiesen. Das Ministerkomitee des Europarates empfiehlt in der Empfehlung Nr. R(87)8 den Vertragsstaaten, Wehrpflichtigen, die aus ernsthaften Gründen den Wehrdienst verweigern, von ihrer Verpflichtung zu befreien. Das Europaparlament hatte in seiner Entschließung vom 7. Februar 1983 (EuGRZ 1983, 141) ausdrücklich die Anstrengungen zur Schaffung eines Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung im Rahmen der EMRK unterstützt.

Im modernen Völkerrecht haben sich insbesondere seit der Gründung der Vereinten Nationen bedeutsame und dynamische Entwicklungen herausgebildet. Nach heutigem Rechtsverständnis beschränkt sich das Recht auf Gewaltanwendung primär auf die Selbstverteidigung gegen bewaffnete Aktionen von außerhalb. Diesem Entwicklungsprozess im Völkerrecht geht die Studie nach und kommt zu der Schlussfolgerung, die Wehrdienstverweigerung einer Person müsse anerkannt werden, wenn diese der Überzeugung sei, dass die Streitkräfte, in deren Reihen sie Dienst verrichten soll, de facto oder aller Wahrscheinlichkeit nach zu aggressiven Zwecken in Verletzung der Charta missbraucht und diese Vorgehensweise auf eine illegale Vernichtung des Lebens anderer hinauslaufen würde (U. N. Doc. E/CN.4/Sub.2/1993/30, 27. 6. 1983, Rdn. 44 ff., 153 ff. (159)). Anhand dieser Maßstäbe sollten die Staaten Wehrdienstverweigerern auch Asylrecht gewähren (UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1983/30, Rdn. 168).

Die Europäische Gemeinschaft hat mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG diesen universellen Trend bekräftigt und jedenfalls für das Gemeinschaftsrecht verbindlich festgestellt, dass jedenfalls in Situationen, in denen durch den Einsatz des Asylsuchenden in bewaffneten Konflikten die Begehung von völkerstrafrechtlichen Delikten als möglich erscheint, dem dadurch hervorgerufenen Konflikt Rechnung zu tragen ist. Zwar hat es diese Frage für die Feststellung der Verfolgungshandlung geklärt. Daraus ergibt sich jedoch folgerichtig, dass auch bei der Auslegung des Begriffs des die Identität prägenden Gewissens im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG die Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung - jedenfalls in dem Umfang, wie er in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG vorgezeichnet wird – zu berücksichtigen ist. Das Gemeinschaftsrecht stellt in Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG mit dem mittelbaren Hinweis auf Art. 1 A Nr. 2 GFK selbst eine derartige Verknüpfung zwischen Verfolgung und Verfolgungsgrund her. Jedenfalls die Kriegsdienstverweigerer, die unter Berufung auf Art. 12 Abs. 2 RL 2004/83/EG den Kriegsdienst verweigern, stellen eine bestimmte soziale Gruppe dar.

dd) Die bestimmte soziale Gruppe der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die unter Hinweis auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden den militärischen Dienst verweigern, hat in der US-Gesellschaft eine »deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird« (Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) RL 2004/83/EG). Die Funktion dieses Abgrenzungsmerkmals besteht darin, die bestimmte soziale Gruppe inhaltlich als eine Gruppe mit einer fest umrissenen oder ausgeprägten Identität zu bestimmen, die sie als solche innerhalb der Gesellschaft des Herkunftslandes erkennbar und damit von anderen Gruppe unterscheidbar macht. Das geschützte (interne) Merkmal ist nach dem Wortlaut der Norm der Grund, warum die Gruppe »von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.«

Es ist damit nicht die Funktion dieses Abgrenzungsmerkmals, von einer sozialen Gruppe zusätzliche Untergruppen abzuspalten und erst eine derart bestimmte Untergruppe als »bestimmte« soziale Gruppe zu identifizieren. Die Größe einer Gruppe ist kein Abgrenzungsmerkmale, vielmehr die im ersten Spiegelstrich von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) Abs. 1 RL 2004/83/EG bezeichneten geschützten Merkmale. Der Begriff "deutlich abgegrenzte Identität" verweist auf die "Gruppe" im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) Abs. 1 RL 2004/83/EG. Dieser hat keine quantitative Dimension. Kann anhand eines oder mehrerer derartiger Merkmale eine bestimmte soziale Gruppe identifiziert werden, müssen nicht zusätzlich nach Maßgabe weiterer materieller Kriterien Untergruppen gebildet werden. Vielmehr verweist der Wortlaut von Art. 1 A Nr. 2 GFK auf eine »bestimmte« soziale Gruppe. Die soziale Gruppe wird anhand eines (internen) Merkmals – hier die spezifische Gewissensbegründung gegen den Einsatz im Irak - als solche nach außen erkennbar abgegrenzt und unterscheidet sich dadurch von anderen Gruppen in der Gesellschaft.

ee) Nach allgemeiner Ansicht reicht als Abgrenzungsmerkmal der Umstand der Verfolgung nicht aus, um alle von Verfolgung betroffenen Einzelpersonen als soziale Gruppe anzusehen. Dennoch können Verfolgungshandlungen gegen eine Gruppe ein maßgeblicher Faktor bei der Bestimmung der Erkennbarkeit einer Gruppe in einer bestimmten Gesellschaft sein (San Remo Expert Roundtable on International Protection, 6–8 September 2001, Summary Conclusions on Membership of a Particular Social Group, Nr. 6). Wegweisend ist insoweit die australische Rechtsprechung, in der darauf hingewiesen wird, dass das eine Gruppe von Personen verbindende gemeinsame Merkmal nicht eine gemeinsame Furcht vor Verfolgung sein kann (High Court of Australia, 190 CLR 225 (1997) – A v. MIMA). Der Begriff der »bestimmten sozialen Gruppe« ist nicht identisch mit dem Begriff der »Gruppenverfolgung« noch reicht allein der Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus.

Vielmehr muss der Antragsteller zunächst darlegen, dass ihm gezielt Verfolgung droht (Art. 9 RL 2004/83/EG) und anschließend, dass diese an seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpft (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG). Umgekehrt ist für die Bestimmung der sozialen Gruppe nicht Voraussetzung, dass alle ihre Mitglieder verfolgt werden oder gemeinsam Verfolgung befürchten. Vielmehr reicht es aus, dass die Gruppe aufgrund eines gemeinsamen Merkmals von der übrigen Gesellschaft als fest umrissene Gruppe wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung muss nicht in Form der Verfolgung erfolgen. Es muss danach nicht der Nachweis geführt werden, dass allen Mitgliedern einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung droht.

ff) Das zuständige Militärgericht in den Vereinigten Staaten wird gegen den Antragsteller wegen seiner spezifisch begründeten Entscheidung, nämlich sich mit seiner Verweigerung des weiteren Militärdienstes nicht an von der militärischen Führung der US-Armee im Irak zu verantwortenden Kriegsverbrechen zu beteiligen, Strafmaßnahmen verhängen. Es wird danach die Verfolgungsmaßnahmen wegen der Zugehörigkeit des Antragstellers zu einer bestimmten sozialen Gruppe durchführen.

Verfolgungen von Personen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe durch den Staat sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Danach reicht die Darlegung aus, dass auf Seiten der staatlichen oder diesen vergleichbaren Verfolgungsakteure der Verfolgung zumindest der Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe neben anderen, von der Konvention nicht erfassten Gründen zugrunde liegt. Da Verfolger häufig aus unterschiedlichen Motiven tätig werden, genügt es, wenn die Verfolgung jedenfalls auf einen der Verfolgungsgründe zielt (so auch House of Lords, IJRL 1999, 496 (505 f.) – Shah and Islam). Ebenso reicht es nach Auffassung von UNHCR aus, wenn der Verfolgungsgrund ein »wesentlicher beitragender Faktor« ist. Er muss jedoch nicht als einziger oder beherrschender Grund dargelegt werden (UNHCR, Auslegung von Artikel 1, April 2001, Rdn. 23). Dabei darf dem Antragsteller keine unzumutbare Darlegungslast aufgebürdet werden, die Anknüpfung der Verfolgungsmaßnahme an einen geschützten Status nachzuweisen. Vielmehr ist er lediglich verpflichtet, Tatsachen und Umstände vorzutragen, aus denen sich bei vernünftiger Betrachtungsweise ergibt, dass die Verfolgung auf dem Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe beruht (Pamela Goldberg/ Bernadette Passade Cisse, Immigration Briefings 2000, 1 (9)).

b) Verfolgung des Antragstellers wegen seiner politischen Überzeugung (Art. 10 Abs. 1Buchst. e) RL 2004/83/EG)

Die dem Antragsteller drohende Strafverfolgung richtet sich nicht nur gegen seine Zugehörigkeit zur bestimmten sozialen Gruppe der Kriegsdienstverweigerung in den Vereinigten Staaten bezogen auf den Irak, sondern auch gegen seine politische Überzeugung.

aa) Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. e) RL 2004/83/EG ist die Verfolgung erheblich, wenn sie wegen der politischen Überzeugung des Antragstellers ausgeübt wird. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach Gemeinschaftsrecht insbesondere zu verstehen, dass der Asylsuchende in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 RL 2004/83/EG bezeichneten Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betreffen, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt. Auch eine Handlung kann Ausdruck einer politischen Überzeugung sein oder als solche vom Verfolger angesehen werden (Kommissionsentwurf v. 12. 9. 2001, BR-Drs. 1017/01, S. 24). Dabei ist unerheblich, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (James C. Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 149). Der Verfolgungsgrund der Zuschreibung einer abweichenden politischen Überzeugung wird also sowohl in Abs. 1 Buchst. e) wie auch in Abs. 2 von Art. 10 RL 2004/83/EG hervorgehoben.

Die frühere asylspezifische Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, die in der Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern unter dem Gesichtspunkt des Politmalus nur dann eine Verfolgung wegen der abweichenden politischen Überzeugung zu sehen vermochte, wenn mit deren Heranziehung zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird (BVerwGE 81, 41 (42) = EZAR 201 Nr. 17 = NVwZ 1989, 774 = InfAuslR 1989, 169, unter Bezugnahme auf BVerwGE 62, 123 (125)= EZAR 200 Nr. 6 = InfAuslR 1981, 21), ist überholt, jedenfalls nicht im Rahmen von Art.10 Abs. 1 Buchst. e) RL 2004/83/EG relevant.

bb) Der Antragsteller vertritt im Blick auf die für den Krieg im Irak verantwortlichen US-Regierungsstellen sowie deren Politiken oder Verfahren eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (vgl. Kommissionsentwurf v. 12. 9. 2001, BR-Drs. 1017/01, S. 24), nämlich, dass deren Kriegführung im Irak völkerrechtswidrig ist. Diese Meinung wird der Antragsteller auch in dem zu erwartenden Militärgerichtsverfahren äußern. Bei der Strafverhängung wird diese spezifische Meinung des Antragstellers einen wesentlichen beitragenden Faktor darstellen, auch wenn daneben disziplinarischen und anderen Gründen eine weitere Funktion zukommen sollte. Die dem Antragsteller drohende Strafverfolgung zielt damit auf seine politische Überzeugung und knüpft deshalb an den Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. e) RL 2004/83/EG an.

Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx: Antrag zur Anerkennung als Asylberechtigter für André Lawrence Shepherd. 26. November 2008. Teil 2. Siehe auch Teil 1.

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