Flüchtlingsschutz für eritreischen Militärdienstentzieher

von Verwaltungsgericht Frankfurt

In einem Urteil vom 12. August 2013 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Beklagte) verpflichtet, einem eritreischen Militärdienstentzieher einen Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren. Das Verwaltungsgericht verweist insbesondere auf die Tatsache, dass schon allein die Militärdienstentziehung in Eritrea als Ablehnung des eritreischen Staatswesens und Regimegegnerschaft angesehen wird und dem Kläger daher bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht. Wir dokumentieren das Urteil in Auszügen. (d. Red.)


In dem Verwaltungsstreitverfahren (...) hat die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main am 12. August 2013 für Recht erkannt:

1. die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gem.§ 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.

Tatbestand

Der Kläger, nach eigenem Bekunden und zur Überzeugung der Beklagten eritreischer Staatsangehöriger, reiste am 27.05.2012 aus Sudan kommend auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland an und beantragte am 26.06.2012 seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung des Asylantrages gab der Kläger in seiner persönlichen Anhörung am 26.06.2012 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) im Wesentlichen an, die Einberufung zum Militär in Eritrea zu befürchten.

Am 17.05.2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2), stellte fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 vorliege (Ziffer 3).

Der Kläger hat am 22.05.2013 Klage erhoben und mit anwaltlichem Schreiben vom 24.07.2013 zur Begründung u.a. vorgetragen, dass dem Kläger Verfolgung in Eritrea drohe wegen seiner illegalen Ausreise und wegen seines Entziehens der Einberufung zum Nationalen Dienst.

Der Kläger beantragt, Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 08.05.2013 (Az. 5551095-224) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG – i.V.m. § 3 AsylVfG. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung allein an das Geschlecht anknüpft.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren. Die zum 28.08.2007 in Kraft getretene Neuregelung des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG stellt in Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie = QLR) nunmehr klar, dass für die Feststellung, ob eine Verfolgung vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der QLR ergänzend anzuwenden sind. Das Betroffensein eines Flüchtlings von politischer Verfolgung erfordert, dass er vor seiner Ausreise bereits politisch verfolgt war oder ihm eine Verfolgung unmittelbar bevorstand, sofern nicht stichhaltige Gründe gegen das Fortbestehen der fluchtbegründenden Umstände sprechen. Unverfolgt aus dem Heimatland Ausgereiste können Schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nur erlangen, wenn im Falle einer Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab entspricht der begründeten Furcht vor Verfolgung oder der tatsächlichen Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, nach Art. 5 QLR (vgl. VG Wiesbaden, Urteil vom 15.11.2006 - 5 E 780/05.A -; VG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.08.2012 - 8 K 988/12.F.A -). Bei dem Kläger sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu bejahen.

Der Kläger hat sofort im Anschluss an seine Zurückschiebung nach Eritrea nicht nur mit einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung von dem überdies in der Regel zeitlich unbefristeten Nationaldienst (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2009 - 8 K 4168/07.F.A -; Urteil vom 14.02.2011 - 8 K 4878/10.F.A -; Urteil vom 28.08.2012 - 8 K 988/12.F.A -VG Wiesbaden, Urteil vom 15.11.2006 - 5 E 780/05.A -; Auswärtiges Amt <AA>, Lageberichte vom 05.08.2008 und vom 25.10.2010; Connection e.V., Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion; amnesty international vom Mai 2004: Eritrea, „Du hast kein Recht zu fragen“) zu gewärtigen. Vielmehr muss er auch mit verfolgungsrelevanten Maßnahmen des eritreischen Staates rechnen, die an die Tatsache anknüpfen, dass der Kläger mit dem Verlassen des Landes zugleich eine Wehrdienstentziehung begangen hat. Letztere, wird in Eritrea, das nach wie vor vom „Primat des Militärs“ (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2009 - 8 K 4168/07.F.A -; Urteil vom 14.02.2011 - 8 K 4878/1 O.F.A -; Urteil vom 28.08.2012 - 8 K 988/12.F.A -VG Wiesbaden, Urteil vom 15.11.2006 - 5 E 780/05.A - unter Hinweis auf Frankfurter Rundschau vom 16.12.2005: „Kriegszustand in Eritrea festigt das Regime“) beherrscht wird, nicht nur als Wehrdienstdelikt angesehen, sondern als Ablehnung des eritreischen Staatswesens überhaupt. Die strafrechtliche Ahndung erhält so auch einen politischen Sanktionscharakter. Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung gibt es nicht; wer sich dem Wehrdienst entzieht, muss mit schweren Strafen und schwersten Misshandlungen rechnen. (vgl. AA, a.a.O.). Die Anwendung exzessiver Gewalt durch die Sicherheitskräfte betrifft insbesondere Wehrdienstflüchtige und Personen, die aus religiösen oder politischen Gründen inhaftiert (vgl. AA, a.a.O.) und deshalb als Regimegegner angesehen werden. Dass der Kläger aus dem Wehrdienst geflohen ist und sich seitdem im Ausland aufgehalten hat, wird in Eritrea als Wehrdienstentziehung und Regimegegnerschaft angesehen und besonders hart geahndet werden. Zudem werden in Eritrea Fälle von Landesflucht restriktiv gehandhabt, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.04.2009 - 8 K 4168/07.F.A -; Urteil vom 14.02.2011 - 8 K 4878/10.F.A -; Urteil vom 28.08.2012 - 8 K 988/12.F.A -VG Wiesbaden, Urteil vom 15.11.2006 - 5 E 780/05.A - unter Hinweis auf Institut für Afrikakunde, Gutachten vom 23.06.2006 an VG Sigmaringen) und einer kritischen Auseinandersetzung entgegenzuwirken. Dem Kläger wird der Vorwurf, sich der Wehrpflicht entzogen und Eritrea ohne die erforderliche Ausreisegenehmigung verlassen zu haben, nach der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22.01.2009 gemacht werden.

Die vorstehenden Ausführungen zu den Folgen der Wehrdienstentziehung und der Regimegegnerschaft durch Wehrdienstentziehung und Verlassen des Landes bestätigt das Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Eritrea: Wehrdienst und Desertion“ vom 23.02.2009, in dem es heißt: „Häftlinge, die versucht hatten, den obligatorischen nationalen Militärdienst zu vermeiden oder ihm zu entkommen, werden gefoltert und misshandelt. Häftlinge erhalten keine Informationen über die gegen sie erhobene Anklage, haben kein Recht sich selbst zu verteidigen oder verteidigen zu lassen. Ihnen fehlt jeglicher Zugang zu einem unabhängigen Justizwesen, um die Missachtung ihrer Grundrechte anzuzeigen. Meinungen, die von der Regierungslinie abweichen, werden nicht toleriert und mehrere Tausend gewaltlose politische Gefangene befinden sich in Haft. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Die Richterschaft kann willkürliche Inhaftierungen oder Handlungen der Armee, die Menschenrechte verletzen, weder anfechten noch ablehnen. Der in der Verfassung und in Gesetzen verankerte Schutz der Menschenrechte wurde weder durchgesetzt noch respektiert.“

Dies gilt nach dem „Update“ vom 08.02.2010 der Schweizerischen Flüchtlingshilfe unverändert. Darin wird in Bezug auf Personen, die sich dem Wehrdienst u.a. durch Ausreise entziehen, sowie Deserteure ausgeführt: „Jedoch begeht das Regime in der konkreten Verfolgung dieser Personen massive Menschenrechtsverletzungen. Hierzu zählt, dass massive Gewalt angewendet wird, wenn Wehrflüchtige und Deserteure an Straßensperren aufgegriffen werden, dass Verdächtige summarisch ergriffen werden, wobei nicht geprüft wird, wie alt die aufgegriffenen Personen sind und ob Unterlagen über die Befreiung von der Wehrpflicht oder die Freistellung vom aktiven Wehrdienst vorhanden sind. Die Behandlung und Bestrafung von Wehrdienstflüchtigen und Deserteuren nach ihrer Ergreifung - schwere körperliche Misshandlungen und Folter, Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen - verletzt ebenfalls massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte. Der in einem Rundschreiben des Verteidigungsministeriums angeordnete Befehl, die Flucht von Militärangehörigen, aber auch Zivilpersonen über die Landesgrenze mit Todesschüssen zu verhindern, stellt ebenfalls eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar.“ (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.08.2012 - 8 K 988/12.F.A -).

Verwaltungsgericht Frankfurt: Urteil vom 12. August 2013. AZ 8 K 2202/13.F.A. Auszüge. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2013

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