Out of Society
Ein Filmporträt höchst unterschiedlicher Deserteure
(12.12.2013) Was haben Emil Richter und André Shepherd gemeinsam? Ein Film der 34-jährigen Filmemacherin Nancy Brandt greift die Geschichten der beiden Deserteure in einem Dokumentarfilm auf. Premiere des Films war am 15. November 2013 auf dem Kasseler Dokumentarfestival.
Der 1914 geborene Emil Richter war einer der Ersten, der nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht durch die Nationalsozialisten im Deutschen Reich bereits 1936 einberufen wurde. Im Militär eckte er immer wieder an und wurde schließlich zu einer Festungshaft von 13 Monaten verurteilt. Nach der erfolgreichen Flucht schlug er sich über Jahre durch und gelangte schließlich in den Ort Aleksandrovac in Serbien, wo ihn die Dorfbevölkerung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges versteckte. Während der Besatzung der Wehrmacht hielt das Dorf die schützende Hand über ihn, obwohl er sich weigerte, zu den Partisanen zu gehen. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück.
André Shepherd desertierte 2007 aus der US-Armee, weil er sich weigerte, erneut in den Irakkrieg zu ziehen. Nach einem mehrmonatigen Einsatz im Irak 2004 hatte er begonnen, sich über die Hintergründe des Krieges und die Kriegführung zu informieren. Mit der Wartung der Apache-Hubschrauber war er maßgeblich daran beteiligt, dass diese im Krieg auch eingesetzt werden konnten. Er kam aufgrund seiner Recherchen zu dem Schluss, dass der Irakkrieg, wie auch der Krieg in Afghanistan völkerrechtswidrig ist und er sich daher nicht weiter daran beteiligen kann. Im November 2008 stellte er in Deutschland einen Asylantrag, der gegenwärtig beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist.
Im Film ist zu spüren, dass Nancy Brandt ausführliche und persönliche Gespräche mit beiden Protagonisten führen konnte. Mit Emil Richter reiste sie nach Aleksandrovac, sprach mit den Dorfbewohnern, die sich noch gut an den jungen Deutschen erinnern konnten, der damals über Jahre in ihrem Dorf lebte. Emil Richter wurde dort freudig begrüßt, nachdem er über Jahrzehnte nicht mehr nach Serbien gefahren war: Ein Wiedersehen, das viele Einblicke in das damalige Geschehen bietet. Emil Richter starb wenige Monate nach den Filmaufnahmen in Berlin.
André Shepherds Asylantrag ist immer noch anhängig. Der Film begleitet ihn an den Ort, an dem er sich nach seiner Flucht aus dem Militär über Monate versteckte. Er zeigt, welche Verluste Desertion und Asylantrag nach sich ziehen: Er wird nicht mehr in die USA reisen können, er kann nicht einfach seine Familie besuchen - und nach wie vor ist offen, wie das Asylverfahren letztlich ausgeht. Es ist eine jahrelange Ungewissheit, die an den Nerven zehrt, auch wenn die Entscheidung zur Desertion nicht in Frage steht.
Der Film vergleicht nicht, er wertet nicht – der Film stellt beide Geschichten, so unterschiedlich sie auch sind, nebeneinander. Es gelingt Nancy Brandt, sehr persönliche Porträts zu zeichnen, die auch das Gemeinsame deutlich machen: Desertion ist ein Schritt ins Ungewisse. Aber es ist die Gewissheit damit verbunden, nicht wieder für Militär und Herrschende kämpfen und töten zu wollen. Bei Emil Richter und André Shepherd ist auch zu sehen, dass eine erfolgreiche Desertion nur mit Unterstützung möglich ist. Der Film besticht durch seine einfühlsame Art, die Personen zu zeigen, mit ihren Überzeugungen, Handlungen, aber auch Zweifeln und Ängsten. Was bleibt ist: Die persönliche Entscheidung gegen das Militär gibt auch Kraft, gegen alle Vorurteile und Diffamierungen.
Rudi Friedrich: Out of Society - Ein Filmporträt höchst unterschiedlicher Deserteure. 12.12.2013
Out of Society, HFF München, 2013, 78 min., Trailer unter www.nancybrandt-film.de. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2014.
Stichworte: ⇒ Andre Shepherd ⇒ Desertion ⇒ Deutschland ⇒ Flucht ⇒ Serbien ⇒ Strafverfolgung ⇒ USA