Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2019

Rundbrief »KDV im Krieg« - April 2019

Turkmenistan: Erneut Kriegsdienstverweigerer verurteilt

Zwölf Kriegsdienstverweigerer in Haft

von Felix Corley

(22.01.2019) Mit der einjährigen Haftstrafe des 18-jährigen Kriegsdienstverweigerers Azamatjan Narkulyev sind nun insgesamt zwölf Kriegsdienstverweigerer in Haft. Von offizieller Seite gibt es keine Antwort, warum diese jungen Männer trotz verschiedener Aufrufe der Vereinten Nationen im Gefängnis sind.

Am 7. Januar 2019 verurteilte ein Gericht im Bezirk Lebap Azamatjan Narkulyev wegen Kriegsdienstverweigerung zu einer einjährigen Haftstrafe. Er ist einer von zwölf Verweigerern, von denen die Inhaftierung bekannt ist. Sie gehören alle den Zeugen Jehovas an und hatten gegenüber dem Rekrutierungsbüro erklärt, dass sie zur Ableistung eines alternativen Zivildienstes bereit seien. Dies wurde ihnen jedoch verwehrt.

Bereits wenige Wochen zuvor waren zwei weitere Kriegsdienstverweigerer verurteilt worden: Gurbangylych Muhammetgulyyev vom Gericht in Mary im November 2018 zu einer einjährigen Haftstrafe und Eziz Atabayev vom Gericht in Dashoguz im Dezember 2018 zu einer zweijährigen Haftstrafe.

Regierung weist Forderung der UN auf Alternativdienst zurück

Im Rahmen der turnusmäßigen Überprüfung von Turkmenistan durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Rahmen der Universal Perodic Review (UPR) im Mai 2018 legten andere Regierungen 191 Empfehlungen vor, wie das Land seine Menschenrechtslage verbessern könne (A /HRC/39/3). Argentinien empfahl: „Verabschiedung notwendiger Maßnahmen um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen“. Das wurde aber gemeinsam mit 19 weiteren Empfehlungen durch die turkmenische Regierung abgelehnt.

Die turkmenische Regierung wies die Forderung, einen Alternativdienst zum Militärdienst einzuführen, in der schriftlichen Antwort an das UPR am 13. September 2018 zurück (A/HRC/39/3/Add.1). Sie wiederholte diese Ablehnung auf einem Treffen des Menschenrechtsrates in Genf am 20. September 2018.

“Wir verweisen auf Artikel 58 der turkmenischen Verfassung, der den Schutz Turkmenistans als heilige Pflicht jeden Bürgers sieht“, so Ahmetyar Kulov, Erster Sekretär der Ständigen Mission Turkmenistan bei den Vereinten Nationen in Genf. „Nach der Verfassung sind alle männlichen Bürger verpflichtet, Militärdienst abzuleisten.“

Eine weitere Empfehlung des UPR war: „Vorkehrungen treffen, damit Inhaftierte, auch die in den Gefängnissen Depe und Seydi, Zugang zu unabhängigen Aufsichtsbeamten und anderen Besucher*innen haben sowie die Erlaubnis, bei diesen Besuchen private und gänzlich vertrauliche Gespräche mit den Gefangenen zu führen, in Übereinstimmung mit den UN-Standards über Minimalanforderungen zur Behandlung von Gefangenen.“ In ihrer schriftlichen Stellungnahme wies die turkmenische Regierung auch dieses Anliegen zurück, ohne Erklärung.

Keine Antworten

Forum 18 versuchte erneut die von der Regierung benannte Ombudsfrau für Menschenrechte, Yazdursun Gurbannazarova, zu erreichen, um nachzufragen, warum junge Männer wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen inhaftiert werden und warum Turkmenistan die Forderung des UPR zurückwies, einen Alternativdienst einzuführen. Ein Vertreter des Büros erklärte am 22. Januar 2019, dass Gurbannazaroya bis zum 28. Januar auf Dienstreise sei und verwies auf die Abteilungsleiterin Maysa Muradova. Sie rief jedoch nicht zurück.

Forum 18 versuchte ebenfalls erneut, den Vorsitzenden der parlamentarischen Menschenrechtskommission anzurufen, Yusupguly Eshshayev, um herauszufinden, ob die Regierung irgendwann beabsichtigt, ein Gesetz einzuführen, um Kriegsdienstverweigerern die Ableistung eines Alternativdienstes anzubieten. Der Mann, der das Telefon abnahm, legte sofort auf, nachdem Forum 18 nachfragte, ob er selbst Eshshayev sei. Weitere Anrufe blieben erfolglos.

Kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Trotz wiederholter Aufforderungen der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bietet Turkmenistan keine Möglichkeit an einen alternativen Dienst abzuleisten. Männer sind wehrpflichtig und haben einen in der Regel zweijährigen Dienst im Alter zwischen 18 und 27 Jahren abzuleisten. Im Frühjahr und Herbst werden jeweils Einberufungen durchgeführt.

Junge Männer, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigern, sehen sich der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Damit wird die Verweigerung des Militärdienstes in Friedenszeiten mit bis zu zwei Jahren Haft oder zwei Jahren Arbeitslager bewehrt.

Seit 2014 verurteilen die Gerichte Kriegsdienstverweigerer zuStrafarbeiten oder Bewährungsstrafen, statt sie ins Gefängnis zu schicken. Mit den beiden Verurteilungen im Januar 2018 wurde jedoch die Praxis der Verurteilung zu Haftstrafen wieder aufgenommen.

Verurteilung zu einem Jahr Haft

Der Zeuge Jehova Azamatjan Narkulyev, geboren am 9. November 2000, erklärte in der Stadt Seydi im Bezirk Lebap gegenüber den Behörden seine Kriegsdienstverweigerung. Er bot an, einen alternativen zivilen Dienst abzuleisten.

Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren nach Artikel 219 Absatz 1 wegen Verweigerung der Einberufung gegen ihn. Sie übergaben seinem Fall dem Gericht im Bezirk Danew.

Das Gericht verurteilte ihn am 7. Januar 2019 zu einer einjährigen Haftstrafe im Arbeitslager, so die Zeugen Jehovas. Es ist nicht klar, ob Narkulyev gegen das Urteil Berufung eingelegt hat. Derzeit befindet er sich in Untersuchungshaft in Turkmenabad. Wahrscheinlich wird er zur Verbüßung der Haftstrafe in das Lager Seydi überstellt werden, wo die meisten Kriegsdienstverweigerer inhaftiert sind.

Zwei weitere Verurteilungen

Zwei weitere junge Männer wurden Ende 2018 wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt, obwohl sie beide einen alternativen zivilen Dienst ableisten wollen.

Gurbangylych Dovletovich Muhammetgulyyev, geboren am 15. März 2000, ist ein Zeuge Jehova aus der Stadt Mary. Er wurde im Herbst 2018 einberufen. Am 17. und 23. Oktober 2018 folgte er nicht den Einberufungen des Rekrutierungsbüros in Mary, nachdem er tauglich gemustert worden war. Er wurde nach Artikel 219 Absatz 1 wegen Verweigerung der Einberufung angeklagt. Am 28. November 2018 verurteilte ihn das Gericht in Mary zu einem Jahr Haft im Arbeitslager. Er wurde noch im Gerichtssaal festgenommen. Das Gericht wies seine Überzeugung zurück, dass sein Glaube ihm verbiete, Waffen zu tragen und dass er „nicht gegen die Wort Jehovas handeln“ könne. Seine Eltern und seine Schwester hatten vor Gericht für ihn als Zeugen ausgesagt. Seltsamerweise merkt das Urteil an, dass Muhammetgulyyev kein Mitglied einer politischen Partei ist. Nach dem Urteil wurde Muhammetgulyyev in das Arbeitslager Seydi überstellt.

Eziz Atabyev, geboren am 15. März 1998, ist Zeuge Jehova aus der Stadt Dashoguz. Am 19. Dezember 2018 verurteilte ihn das Stadtgericht Dashoguz nach Artikel 219 Absatz 1 wegen Verweigerung der Einberufung zu zwei Jahren Haft im Arbeitslager. Am 15. Januar 2019 erfuhr Atabayevs Vater, dass das Bezirksgericht Dashoguz die Berufung gegen das Urteil abgelehnt habe. Atabayev befindet sich derzeit in Untersuchungshaft in Dashoguz. Es wird erwartet, dass er bald in das Arbeitslager Seydi überstellt wird.

Keine vorzeitige Entlassung

Am 17. Dezember 2018 wurde der Kriegsdienstverweigerer Arslan Begenchovich nach Verbüßung der gesamten Haftstrafe aus dem Arbeitslager Seydi entlassen. Die Behörden hatten ihn am 2. Januar 2018 in seiner Heimatregion Lebap festgenommen, nachdem er die Ableistung des Militärdienstes aus religiösen Gründen verweigert hatte. Das Bezirksgericht Charjew hatte ihn am 17. Januar 2018 zu einem Jahr Haft verurteilt. Seine Berufung wurde am 13. Februar 2018 abgewiesen. Begenchov verbüßte insgesamt elfeinhalb Monate, da die Zeit der Untersuchungshaft doppelt zählt. Er war der erste Kriegsdienstverweigerer seit 2014, der verurteilt worden ist.

Zehn Kriegsdienstverweigerer in einem Arbeitslager inhaftiert

Narkulyev und Atabayev, die im Dezember 2018 und Januar 2019 verurteilten Kriegsdienstverweigerer, werden wahrscheinlich zur Haftverbüßung in das in der Wüste gelegene Arbeitslager Seydi überstellt werden. Die anderen inhaftierten Kriegsdienstverweigerer sind bereits dort.

Keine Amnestie

Keiner der Inhaftierten fiel unter die regelmäßig vom Präsidenten gewährte Amnestie von Gefangenen. Am 24. September 2018, kurz vor der bevorstehenden Amnestierung, wurde Kakabayev, Annayev und Genjiyev gesagt, sie würden amnestiert und freigelassen. Obwohl ihre Namen bereits auf der öffentlich bekannt gemachten Liste stand, waren sie nicht unter den 1.722 Gefangen, die am nächsten Tag entlassen wurden.

Die Adresse des Arbeitslagers Seydi:
746222 Lebap velayat
Seydi
uchr. LB-K/12
Turkmenistan

Wollen Rekrutierungsbüros Fälle neu aufrollen?

Die Zeugen Jehovas sind besorgt, dass Rekrutierungsbüros neuerdings einige junge Männer, die bereits ausgemustert worden waren, erneut einbestellen, mit der Begründung, sie seien tauglich. Die Zeugen Jehovas befürchten, dass sie nun tauglich gemustert und einberufen werden und ihnen damit eine Gefängnisstrafe droht.

Auch protestantische Gemeinden zeigten sich besorgt, weil im August 2018 das Rekrutierungsbüro in Dashoguz zwei junge Männer einbestellte, die bereits ihren Militärdienst abgeleistet haben. Die Beamten klagten sie an, die Bibel gelesen zu haben und beleidigten sie wegen ihres Glaubens.

Liste der bekannten Kriegsdienstverweigerer

Es sind derzeit zwölf Kriegsdienstverweigerer bekannt, die nach Artikel 219 Absatz 1 Gefängnisstrafen verbüßen. Alle gehören den Zeugen Jehovas an:

1) Kerven Arslanovich Kakabayev, geboren am 9. September 1996, wurde am 29. Januar 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Seine Berufung wurde wegen Fristversäumnis abgelehnt.

2) Mekan Orazdurdiyevich Annayev, geboren am 22. Juni 1999, wurde am 26. Juni 2018 vom Stadtgericht Turkmenbashi zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

3) Ikhlosbek Valijon oglu Rozmetov, geboren am 26. November 1997, wurde am 11. Juli 2018 vom Bezirksgericht Gurbansoltan Eje zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Seine Berufung wurde am 23. Juli 2018 vom Regionalgericht Dashoguz abgelehnt.

4) Veniamin Muslimovich Genjiyev, geboren am 12. Mai 2000, wurde am 17. Juli 2018 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

5) Maksat Jumadurdiyevich Jumadurdiyev, geboren am 15. Mai 2000, wurde am 17. Juli 2018 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

6) Isa Muslimovich Sayayev, geboren am 9. August 1994, wurde am 9. August 2018 vom Stadtgericht Koneurgench zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht Lebap abgewiesen.

7) Ruslan Khadynyaz oglu Artykmuradov, geboren am 24. Mai 2000, wurde am 13. August 2018 vom Bezirksgericht Sayat zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde am 11. September 2018 vom Regionalgericht in Lebap abgewiesen.

8) Sokhbet Rejepmyradovich Agamyradov, geboren am 4. Januar 2000, wurde am 27. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte beim Regionalgericht Mary Berufung ein.

9) Serdar Annamyradovich Atayev, geboren am 9. Juni 2000, wurde am 28. August 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt.

10) Gurbangylych Dovletovich Muhammetgulyyev, geboren am 15. März 2000, wurde am 28. November 2018 vom Stadtgericht Mary zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte keine Berufung ein.

11) Eziz Atabayev, geboren am 15. März 1998, wurde am 19. Dezember 2018 vom Stadtgericht Dashoguz zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht Dashoguz abgewiesen.

12) Azamatjan Narkulyev, geboren am 9. November 2000, wurde am 7. Januar 2019 vom Bezirksgericht Danew zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt.

Felix Corley; Forum 18: Turkmenistan – New year, new jailed conscientious objector. 22. Januar 2019. Auszüge. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2019.

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