Deserteure und Kriegsdienstverweigerer

Aus dem Handbuch des UNHCR

von UNHCR

167. In Ländern, in denen eine Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes besteht, ist eine Militärdienstverweigerung oft strafbar. Desertation gilt jedoch überall als strafbare Handlung, auch dort, wo keine Dienstpflicht besteht. Die Strafen sind von Land zu Land verschieden und werden normalerweise nicht als Verfolgung angesehen. Furcht vor Strafverfolgung und vor Bestrafung wegen Desertation oder der Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, stellen für sich keine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Definition dar. Andererseits bedeuten Desertation oder das Nichtfolgeleisten einer Einberufung nicht, daß der betreffende kein Flüchtling sein kann; jemand kann ein Deserteur oder Wehrdienstverweigerer und doch auch ein Flüchtling sein.

168. Selbstverständlich ist jemand kein Flüchtling, nur weil er aus Furcht, kämpfen zu müssen oder aus Abneigung gegen den Militärdienst desertiert ist oder den Dienst erst gar nicht angetreten hat. Er kann aber ein Flüchtling sein, wenn es für ihn - abgesehen von der Desertation oder Wehrdienstumgehung - noch andere relevante Motive zum Verlassen des Landes oder zum Verbleiben außerhalb der Grenzen seines Landes gab oder wenn er anderweitig Gründe im Sinne der Definition hatte, Verfolgung zu befürchten.

169. Ein Deserteur oder jemand, der sich der Einberufung entzieht, kann auch als Flüchtling angesehen werden, wenn er dartun kann, daß er aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung wegen seines militärischen Vergehens eine unverhältnismäßig schwere Strafe zu erwarten hätte. Das gleiche gilt, wenn er - abgesehen von der Strafe wegen Desertation - aus den genannten Gründen begründete Furcht vor Verfolgung geltend machen kann.

170. Es gibt schliesslich auch Fälle, in denen die Militärdienstpflicht als solche der einzige Grund für eine Anerkennung als Flüchtling sein kann; das ist dann der Fall, wenn eine Person darlegen kann, daß die Ableistung des Militärdienstes ihre Teilnahme an militärischen Maßnahmen erfordern würde, die im Widerspruch zu ihrer echten politischen, religiösen oder moralischen Überzeugung oder auch zu anzuerkennenden Gewissensgründen stehen würden.

171. Nicht immer wird die Überzeugung eines Menschen, der desertiert ist oder sich der Einberufung entzogen hat, wie echt diese auch sein mag, ein ausreichender Grund für seine Anerkennung als Flüchtling sein. Es genügt nicht, daß eine Person nicht mit der Auffassung ihrer Regierung in der politischen Rechtfertigung einer bestimmten militärischen Aktion übereinstimmt. Wenn jedoch die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird, dann könnte in Anbetracht der Bestimmungen der Definition die Strafe für Desertation oder für Nichtbefolgung der Einberufung als Verfolgung angesehen werden.

172. Eine Verweigerung des Militärdienstes kann auch in religiöser Überzeugung begründet sein. Wenn ein Antragsteller die Aufrichtigkeit seiner religiösen Überzeugung zeigen kann, und wenn bei seiner Einberufung zum Militärdienst die Behörden seines Landes keine Rücksicht auf diese Überzeugung genommen haben, kann er damit möglicherweise seine Forderung nach Anerkennung als Flüchtling begründen. Zusätzliche Hinweise darauf, daß der Antragsteller oder seine Familie wegen ihrer religiösen Überzeugung Schwierigkeiten hatten, würden einem solchen Antrag noch mehr Nachdruck verleihen.

173. Die Frage, ob mit der Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen eine Anerkennung als Flüchtling begründet werden kann, sollte auch im Hinblick auf jüngste Entwicklungen auf diesem Gebiet untersucht werden. Eine wachsende Zahl von Staaten haben Gesetze und Verordnungen erlassen, nach denen Personen, die echte Gewissensgründe anführen können, vom Militärdienst befreit werden, und zwar entweder uneingeschränkt oder unter der Bedingung der Ableistung von Ersatzdienst (d.h. Zivildienst). Die Einführung solcher Gesetze und Verordnungen war auch Gegenstand von Empfehlungen internationaler Institutionen. In Anbetracht dieser Entwicklungen ist es den Vertragsstaaten überlassen, Personen als Flüchtlinge anzuerkennen, die sich aus echten Gewissensgründen geweigert haben, Militärdienst zu leisten.

174. Echtheit und Aufrichtigkeit der politischen, religiösen oder moralischen Überzeugung einer Person oder die Echtheit ihrer Gewissensgründe, die sie für die Militärdienstverweigerung vorbringt, müssen selbstverständlich durch eine eingehende Prüfung ihrer Persönlichkeit und ihres persönlichen Hintergrunds geklärt werden. Von Bedeutung kann sein, dass der Betreffende schon vor seiner Einberufung seine Ansichten zum Ausdruck gebracht hat oder, dass wegen seinesr Überzeugung schon früher Schwierigkeiten mit den Behörden aufgetreten waren. Relevant, was die Echtheit seiner Überzeugung anbelangt, wird auch sein, ob er freiwillig in die Armee eintrat oder ob er eingezogen wurde.

UNHCR, Handbuch über das Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Ursprünglich Genf 1979, S.48f, Auszug. Der Auszug findet sich unverändert in der Überarbeitung des UNHCR Handbuches, Genf, Dezember 2011, S. 33f.

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