Wegen Militärdienstverweigerung inhaftiert: „Ich bin bereit, einen Preis für meine Prinzipien zu zahlen"
Ben Arad, 18, ist der dritte Militärdienstverweiger, der seit dem 7. Oktober inhaftiert wurde.
(05.04.2024) „Seit Beginn des Krieges habe ich verstanden, dass ich verpflichtet bin, meine Stimme zu erheben und ein Ende des Kreislaufs der Gewalt zu fordern“. Dies waren die Worte von Ben Arad, einem 18-jährigen israelischen Kriegsdienstverweigerer, kurz bevor er sich am 1. April im Rekrutierungszentrum der israelischen Armee in der Nähe von Tel Aviv meldete und erklärte, dass er sich aus Protest gegen die israelische Bombardierung des Gazastreifens und die seit langem andauernde Besatzung weigere, den obligatorischen Militärdienst zu leisten.
Arad ist der dritte israelische Teenager, der seit dem 7. Oktober öffentlich die Einberufung aus politischen Gründen verweigert hat. Er wurde vor Gericht gestellt und zu zunächst 20 Tagen Militärgefängnis verurteilt. Er folgt auf Tal Mitnick, der bislang insgesamt 105 Tage Haft verbüßt hat und Sofia Orr, die 40 Tage Haft verbüßt hat – beide wurden noch nicht vom Militärdienst befreit, was bedeutet, dass sie noch zu weiteren Haftstrafen verurteilt werden können.
Der in Ramat Hasharon unweit von Tel Aviv geborene Arad hat die letzten Monate als Freiwilliger im Kibbuz Mashabei Sadeh in der Negev/Naqab-Wüste verbracht, wo er mit Jugendlichen aus dem Kibbuz und in Schulen im nahe gelegenen Beduinendorf Bir Hadaj arbeitete. Wie viele andere israelische Jugendliche, die in diesem Jahr ein sogenanntes „Dienstjahr“ vor der Armee absolvieren, wurde auch Arad darüber informiert, dass das Programm wegen des Krieges verkürzt wurde und er daher im April statt im Dezember in die Armee eintreten muss.
In einem Interview mit dem Magazin +972 und Local Call vor seiner Verurteilung erklärte Arad, dass er sich bisher nie als „Aktivist“ bezeichnet habe und dass ihn die Beobachtung der Zerstörung des Gazastreifens durch Israel – die er als „eine beispiellose Mordkampagne nicht nur gegen die Hamas, sondern gegen das gesamte palästinensische Volk“ bezeichnete – von der Notwendigkeit überzeugt habe, sich zu wehren.
„Die Tötung von Zivilist*innen im Gazastreifen, der Hunger, die Krankheiten, die Zerstörung von Eigentum, [zusätzlich zu] den Verbrechen der Siedler in den besetzten Gebieten – sie alle schüren die Flamme des Hasses und des Terrors“, sagte er. „Kämpfen wird die Geiseln nicht zurückbringen. Er wird die Toten nicht wieder auferstehen lassen. Es wird die Bewohner*innen des Gazastreifens nicht von der Kontrolle der Hamas befreien, und es wird keinen Frieden bringen.“
Das folgende Interview wurde aus Gründen der Länge und Klarheit gekürzt.
Wie sind Sie zu der Entscheidung gekommen, sich zu weigern?
Ich bin nicht in einem Umfeld aufgewachsen, in dem über diese Dinge gesprochen wird, aber ich wurde dazu erzogen, kritisch zu denken und alles zu hinterfragen. Ich habe einen etwas anderen Weg eingeschlagen als der*die durchschnittliche israelische Linke, der*die mit der Besatzung beginnt und erst dann über globale Themen wie Kapitalismus und Kolonialismus nachdenkt. Ich war von klein auf über die globale Erwärmung und die Umwelt besorgt. Diese Denkweise führte mich zu einer antikapitalistischen Ideologie, die mich zum Antikolonialismus und von dort zum Kampf gegen die Besatzung brachte.
Schon vor dem Krieg fühlte ich mich weniger geeignet für den Militärdienst, aber ich war nie auf vielen Demonstrationen und war kein Aktivist. Mit Beginn des Krieges fühlte ich mich zum Handeln verpflichtet. Ich hatte das Gefühl, dass ich es mir und der Welt schuldig bin.
Wie haben Ihre Freunde und Ihre Familie auf Ihre Entscheidung reagiert?
Ich stamme aus einer Familie, in der sich jede*r zum Militärdienst gemeldet hat. Mein Bruder, der zwei Jahre älter ist als ich, ist Offizier. Viele meiner Freund*innen sind Soldat*innen. Die Menschen in meinem Umfeld sind nicht einverstanden [mit der Verweigerung], stimmen aber manchmal in bestimmten Punkten zu. Die meisten Menschen in meinem Umfeld respektieren meine Entscheidung und schätzen es, dass ich für etwas kämpfe, das ich für richtig halte, und dass ich bereit bin, für meine Prinzipien einen Preis zu zahlen.
Nach dem 7. Oktober haben viele Linke einen Prozess durchlaufen, den sie als „Ausnüchterung“ bezeichnen, oder sie sind weiter nach rechts gerückt. Bei Ihnen war das Gegenteil der Fall.
Die Barbarei des brutalen Angriffs der Hamas wollte jede Hoffnung auf Frieden und eine gemeinsame Zukunft zunichte machen, und die Auswirkungen dieses Angriffs auf das israelische Volk sind immer noch allgegenwärtig. Viele Menschen sahen die schockierenden Ereignisse des 7. Oktober und ihre unmittelbare Reaktion war, dass es keine andere Wahl gab, als die Hamas mit Gewalt zu vernichten. Ich glaube, das ist ein Widerspruch in sich: Ich glaube nicht, dass man Gewalt mit Gewalt zerstören kann. Angriffe und Bodenangriffe schaffen nur eine harte Realität für die Menschen in Gaza, verbreiten Hunger und Krankheiten, und diese Realität trägt nur zur Unterstützung der Hamas bei und bringt die nächste Generation von Menschen hervor, die nichts zu verlieren haben. Daher der Widerstand gegen die Besatzung, der den Kreislauf der Gewalt nur noch weiter verstärkt. Der Kampf gegen den Terrorismus muss ein politischer Kampf sein.
Glauben Sie, dass es im derzeitigen Klima möglich ist, andere Jugendliche zur Verweigerung zu bewegen?
Ich rufe niemanden wirklich zur Verweigerung auf. Das Einzige, was ich betonen kann, ist, dass die Menschen ihre Wahrnehmungen überprüfen, hinterfragen und so kritisch wie möglich denken sollten. Das ist alles, was man sich wünschen kann. Diejenigen, die sich melden, sollten versuchen, über die Auswirkungen und die Bedeutung des Militärdienstes nachzudenken. Meiner Meinung nach ist der Dienst in der Armee ein politischer Akt, aber die Menschen nehmen ihn nicht als solchen wahr. Sie melden sich, weil es das Gesetz vorschreibt, weil es eine Militärdienstpflicht gibt. Ich möchte, dass sie ihre Handlungen und Wahrnehmungen unter die Lupe nehmen.
Ist Ihre Weigerung auch ein Ausdruck der Solidarität mit Palästinenser*innen in Gaza?
Auf jeden Fall. Ich denke, wir müssen uns mit den Menschen in Gaza und mit den Palästinenser*innen im Allgemeinen solidarisch zeigen. Wir können uns nur dann dem Frieden nähern, wenn wir an der Deeskalation arbeiten und Seite an Seite stehen. Ohne das kommen wir nicht weiter.
Haben Sie in der derzeitigen öffentlichen Atmosphäre Angst, ins Gefängnis zu kommen?
Die Angst besteht weniger vor einer möglichen politischen oder juristischen Verfolgung als vor dem Gefängnis selbst. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass es in der israelischen Gesellschaft derzeit eine Entfremdung gibt. Wenn man in Begriffen spricht, die die Öffentlichkeit im gegenwärtigen Klima nicht hören will – wenn man zum Beispiel von 13.000 getöteten Kindern im Gazastreifen spricht –, dann entsteht ein Gefühl der Entfremdung, und davor habe ich Angst.
Haben Sie mit den Verweigerern gesprochen, die derzeit inhaftiert sind, um sich selbst auf den Gefängnisaufenthalt vorzubereiten?
Ja, ich habe mit Sophie über ihre Erfahrungen im Gefängnis gesprochen und darüber, wie sie mit den Reaktionen auf ihre Verweigerung umgeht. Ich habe sie gefragt, wie sie antwortet, wenn jemand sie darauf anspricht, was sie als Lösung vorschlägt. Das ist eine schwierige Frage, denn man braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was passieren muss, damit der Krieg endet. Sie sagte mir, dass wir Teenager keine Weltpolitiker*innen sind, die alles wissen, und dass wir nur aus unserem Wissen heraus sprechen können: Um an mögliche Lösungen zu denken, müssen wir zuerst den Krieg beenden und den Rauch lichten, der es schwierig macht, über die Gegenwart hinaus zu sehen.
Die Armee erlaubt Militärgefangenen nicht, viele Gegenstände mitzubringen, aber Sie dürfen einen CD-Player und bestimmte Bücher mitnehmen. Welche CDs und Bücher werden Sie mitnehmen?
Ich habe vor, „A Clockwork Orange“ mitzunehmen – das Buch und auch den Soundtrack auf CD. Ich hoffe, sie lassen mich, denn es ist ein Buch mit gewalttätigem Inhalt, das sie vielleicht konfiszieren. Außerdem „Das Kommunistische Manifest“, Philosophiebücher und eine Menge CDs: Pink Floyd, einige Beatles und Radiohead.
Eine Version dieses Artikels wurde zuerst auf Hebräisch in Local Call veröffentlicht.
Oren Ziv, Israeli teen jailed for refusing draft: "I’m willing to pay a price for my principles". Veröffentlicht am 05. April 2024 in +972 Magazine. https://www.972mag.com/ben-arad-conscientious-objector-israeli-army/. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Mai 2024
Stichworte: ⇒ Israel ⇒ Kriegsdienstverweigerung