Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei erhält Asyl

von Verwaltungsgericht Freiburg

Das hier dokumentierte, vor wenigen Tagen rechtskräftig gewordene, Urteil, gewährt einen Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei Asyl. Turgay Coskun hatte auf verschiedenen Veranstaltungen, die von der Deutschen-Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und anderen Gruppen organisiert worden waren, seine Gründe für die Kriegsdienstverweigerung geschildert. "Angesichts des vielfach - auch exponierten - Auftretens des Klägers", so das Gericht, "muss davon ausgegangen werden, dass er in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten ist und bei einer Einreise in die Türkei mit Verfolgungsmaßnahmen übergezogen wird." Das Gericht erkannte ihn als Asylberechtigten an. (Anm. d. Red.)

 

(...) Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. (...)

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach erfolgloser Durchführung eines ersten Asylverfahrens beantragte der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Oktober 2002 erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er an, er sei aufgrund seiner aktiven Teilnahme an einer politischen Aktion türkischer Kriegsdienstverweigerer im August 2002 vor dem türkischen Generalkonsulat und der Resonanz hierauf erheblich gefährdet im Fall einer Rückkehr.

Mit Bescheid vom 5. März 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie auf Abänderung des vorangegangenen Bescheids bezüglich der Feststellung des § 53 AuslG ab.

Auf diesen per Einschreiben am 10. März 2003 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 13. März 2003 Klage erhoben, mit der er sein Asylbegehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen; (...)

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.

(...) Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. Februar 2004 hat die Einzelrichterin den Kläger zu seinen Asylgründen angehört. Der Kläger gab an, er sei nicht zur Schule gegangen, um Soldat zu werden. Mental habe er keinen Grund darin gesehen, Krieg gegen, sei es ein Volk, einzelne Menschen oder Rassen zu führen. Er habe in der Gesellschaft, in der er aufgewachsen sei, das Gesicht des Krieges gesehen. Er habe gesehen, was Soldaten erleiden, aber auch das, was sie anrichten. Letzteres durch die persönliche Betroffenheit von Freunden und auch seiner Familie. Er habe auch das Gesicht des Krieges in den Menschen im Flüchtlingslager gesehen, in dem er im Rahmen eines Projektes 1 1/2 Monate gearbeitet habe. Es habe sich um Flüchtlinge aus dem Kosovo im Jahr 1999 gehandelt. Innerhalb des Projektes, in dem er gearbeitet habe, sei es darum gegangen, sich um die psychischen Störungen des Menschen durch den Krieg zu kümmern und sie soweit möglich psychosozial zu behandeln. Wenn man so etwas mache, sei der Kriegsdienst paradox. Beides ginge nicht. In der Türkei gebe es kein Recht, diese Ansicht zu vertreten bzw. den Kriegsdienst zu verweigern. Es gebe auch keine öffentliche Unterstützung. Soldat sein sei doch traditionell und werde auch von der Religion unterstützt. Der Staat sehe das SoIdatsein als Schuld der Ehre an. Für die Religion sei es Dienst für den Propheten. Daher gebe es für ihn keine Grundlage, seine Auffassung in der Türkei zu verteidigen. So müsse er sich auch vor dem Militärgericht und nicht etwa vor einem zivilen Gericht verantworten. Sein Verhalten werde als Verrat am Vaterland angesehen. Dabei liebe er sein Land, auch die Welt. Als er nach Deutschland geflohen sei, weil er für sich in der Türkei keine Möglichkeit gesehen habe, habe er in Ludwigshafen eine Mitarbeiterin von amnesty international kennen gelernt. Diese habe ihm gesagt, es gebe einen Verein in Deutschland, der seiner Auffassung entspräche und habe die Verbindung nach Stuttgart zum Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft hergestellt. Vorher habe er nicht gewusst, dass es in Deutschland solche Möglichkeiten gebe. Es habe ein reger Erfahrungs- und Gedankenaustausch stattgefunden. Er habe dadurch Mut bekommen, sein "Dagegen sein" auszudrücken. Zum ersten Mal habe er danach auf Versammlungen im August 2002 zum Ausdruck gebracht, was gegen sein Gewissen verstoße. Deswegen hätten sie auch am 31. August 2002 in Frankfurt dem türkischen Generalkonsulat eine gemeinsame Kriegsdienstverweigerungserklärung übergeben. In der Folgezeit habe er noch an anderen Versammlungen teilnehmen und seine Auffassung darlegen können. Auch habe er bei verschiedenen Seminaren mitgewirkt. Der Mainzer offene Kanal sende eine Fernsehreportage über ihn. Auch habe der Südwestfunk mit ihm ein Interview gebracht. Im Oktober 2003 hätten sie noch einmal dem türkischen Generalkonsulat in Frankfurt eine gemeinsame Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung, die selbstverständlich auch von ihm unterschrieben worden sei, übergeben. Auch habe er sich selbst schriftlich im November 2003 an das türkische Konsulat in Main gewandt, um seine Auffassung noch einmal darzulegen. Soweit sie gemeinsame Schreiben verfasst hätten, seien diese immer in der Gruppe diskutiert und formuliert worden. Hintergrund seiner Tätigkeit hier in Deutschland sei auch, andere in der Türkei zu ermutigen, ebenfalls den Kriegsdienst zu verweigern. Auf Frage seines Prozessbevollmächtigten: Er habe zwar Angst vor einer Verhaftung in Deutschland. Deswegen könne er auch nicht ruhig sein. Sein Gewissen sei aber rein, weil er wisse, dass er nichts Falsches tue und es gebe ihm Mut zu wissen, dass er nicht allein sei.

Entscheidungsgründe

Die Einzelrichterin konnte verhandeln und entscheiden, obwohl nicht sämtliche Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen sind; denn auf diese Möglichkeit wurden sie in den ordnungsgemäßen Ladungen hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. März 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Von politischer Verfolgung ist betroffen, wer in seinem Heimatland wegen seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder wegen für ihn unverfügbarer Merkmale, die sein Anderssein prägen (z.B. Rasse, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt und aus diesem Grund gezwungen ist, im Ausland Zuflucht zu nehmen. Eine asylerhebliche Verfolgung stellen nur gezielte Rechtsverletzungen dar, die den Betroffenen ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Angriffe auf die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und (physische) Freiheit sind dabei regelmäßig asylrelevant; andere Rechtsgutverletzungen sind nur dann asylerheblich, wenn sie so gewichtig sind, dass sie über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaats allgemein hinzunehmen haben und zugleich die Menschenwürde verletzt ist.

Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter beanspruchen, da er bei den gegenwärtigen Verhältnissen bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht wäre.

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bereits vorverfolgt, d.h. wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist. Die Schwierigkeiten, die der Kläger vor seiner Ausreise hatte, reichen hierfür nicht aus. Gleichwohl ist der Kläger als Asylberechtigter anzuerkennen, da ihm aufgrund eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht. Zwar sind zurückkehrende kurdische Asylbewerber grundsätzlich, soweit in ihrer Person keine Besonderheit vorliegen, bei ihrer Einreise in die Türkei hinreichend sicher davor, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrechtlich relevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Allerdings gibt es im Fall des Klägers Besonderheiten, die eine andere Beurteilung rechtfertigen. Der Kläger hat sich in Deutschland der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen (DFG-VK) angeschlossen. Dies entsprach seinem Bestreben, sich mit Gleichgesinnten über die schon von ihm in der Türkei getroffene Entscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern, auseinander zu setzen. Dass der Kläger dies mit Erfolg in Deutschland umgesetzt hat und stark in die Gesellschaft eingebunden ist, zeigt sich zum einen schon an der starken Beteiligung von Mitgliedern dieser Gesellschaft im Termin zur mündlichen Verhandlung sowie auch an den umfänglichen vorgelegten Stellungnahmen sowohl des Bundes- als auch des Landesverbandes. Dies zeigt, dass die Einbindung des Klägers in die Deutsche Friedensgesellschaft weit über das hinausgeht, was dem Normalfall eines Sympathisanten oder Mitläufers entspricht. Der Kläger hat sich entsprechend auch stark im Rahmen der Deutschen Friedensgesellschaft engagiert. So hat er wiederholt von der Organisation durchgeführte Aktionen mitorganisiert sowie an ihnen teilgenommen. Er hat mehrfach vor türkischen Konsulaten in Frankfurt und Mainz seine persönlichen Kriegsdienstverweigerungsgründe vorgetragen und unter Angabe von Namen und Adresse eine Erklärung unterzeichnet, die sowohl der Botschaft übergeben, als auch dem Generalkonsulat übersandt wurde. Er hat zuletzt ein persönliches Schreiben an das türkische Innenministerium, das Außenministerium und das Verteidigungsministerium übersandt. Über den Kläger und die von und mit ihm durchgeführten Organisationen ist wiederholt in der inländischen Presse berichtet worden. Es hat ebenfalls Artikel in türkischen Tageszeitungen gegeben, die im Gerichtsverfahren vorgelegt worden sind. Der Südwestfunk hat ein Interview mit dem Kläger durchgeführt; eine regionale Fernsehanstalt hat eine Fernsehreportage über ihn gemacht. Bei diesen Aktivitäten des Klägers in Deutschland insgesamt ist zunächst davon auszugehen, dass sie über das hinausgehen, was dem Normalmaß der Teilnahme an Kriegsdienstverweigerungsaktionen türkischer und kurdischer Kriegsdienstverweigerer in Deutschland entspricht und nicht zur Annahme politischer Verfolgung führen könnte. Angesichts des vielfach - auch exponierten - Auftretens des Klägers muss davon ausgegangen werden, dass er in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden geraten ist und bei einer Einreise in die Türkei mit Verfolgungsmaßnahmen, sei es wegen des Verdachts der Republikkritik oder des Separatismus übergezogen wird. Damit ist jedenfalls im besonderen Fall des Klägers von einer asylerheblichen Gefährdung als kurdischer Kriegsdienstverweigerer bei Rückkehr in die Heimat auszugehen.

Da die Betätigung des Klägers in Deutschland konsequente Fortentwicklung seiner schon im Heimatland vorhandenen und erkennbar festen Überzeugung ist, ist die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG auszusprechen.

Nachdem der Kläger als Asylberechtigter anzuerkennen ist, ist das Bundesamt auch verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. (...)

Urteil des VG Freiburg vom 9. Februar 2004 (AZ A 9 K 10396/03). Das Urteil ist rechtskräftig. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe März 2004.

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