Südkorea: „Die Bewegung der Kriegsdienstverweigerung hat mich verändert“

von Jungmin Choi

Ja, wir hatten den koreanischen Krieg 1950. Das ist jetzt schon 58 Jahre her. Ich möchte nicht erklären, wie schrecklich es war - wie ihr euch vorstellen könnt, war es eine totale Katastrophe. Er hat die koreanische Halbinsel in Nord und Süd unterteilt und bis heute gab es keine bedeutenden Annäherungsversuche zu Gesprächen um sich gegenseitig zu verstehen. Eher gab es verschiedene Konflikte und feindschaftliche Gefühle zwischen beiden Koreas, mit viel Propaganda von konservativen PolitikerInnen. Den konservativen PolitikerInnen gelingt es immer noch, in den Köpfen der Bevölkerung Angst vor einem bevorstehenden Krieg zu erzeugen, besonders, wenn sie versuchen wollen, ihre eigenen politischen Probleme zu verstecken. Es ist eine Ideologie, die wir den „roten Komplex“ nennen. Sie behindert jede Protestbewegung.

Die Bewegung zur Kriegsdienstverweigerung hat eine bedeutende Rolle für mich, weil sie nicht nur die Leute dazu anregt darüber nachzudenken, was Frieden ist, sondern sie auch an ihre verloren gegangene menschliche Sympathie erinnert. Die Bewegung hat in den Köpfen der Menschen einen Denkprozess angeregt; außerdem hinterfragt sie die vorherrschende Atmosphäre, in der Militärdienst abzuleisten als normal angesehen wird. Wir haben uns damit beschäftigt, was Militär ist und wie wir selber stillschweigend dazu beitrugen, es am Leben zu erhalten. Das Militär und den Militarismus zu hinterfragen und somit zu kritisieren war zu dem Zeitpunkt einmalig in der koreanischen Gesellschaft, weil es für Männer völlig normal gewesen ist den vorgeschriebenen Militärdienst abzuleisten.

Die Bewegung zur Kriegsdienstverweigerung startete Ende 2000. Es war komisch zu bemerken, dass Kriegsdienstverweigerung vorher nie Thema war, zumal die meisten Soldaten gesehen haben müssen, wie Zeugen Jehovas sich geweigert haben, Waffen zu tragen. Zu der Zeit fragte ich einige meiner Freunde, ob sie während ihres Militärdienstes Leute gesehen haben, die sich weigerten, Waffen zu tragen. Die Antwort war ja, aber sie dachten sich einfach, dass das sehr merkwürdige Personen sind.

Als ich zur Universität gegangen bin, gab es eine sehr große StudentInnenbewegung. Ziemlich viele StudentInnen zündeten sich selbst an und begingen Selbstmord. Andere kamen mit Molotowcocktails und riefen Slogans für den Umsturz der diktatorischen Regierung. Zu der Zeit sahen die meisten StudentInnen die Armee als wichtigste Organisation für eine Revolution an, außerdem versuchten sie, während des Militärdienstes die Soldaten auf soziale Themen aufmerksam zu machen. Diese Art der sehr militarisierten StudentInnenbewegung ist nach und nach verschwunden, aber in mancher Hinsicht existiert sie weiter. Einige Leute sehen die Kriegsdienstverweigerung immer noch als schwache oder feige Art des Widerstandes an oder haben die Idee, dass wir nach der Wiedervereinigung eine starke Armee benötigen.

Das soziale Bewusstsein zur Kriegsdienstverweigerung wuchs an. Im Dezember 2001 erklärte der Buddhist und Friedensaktivist Taeyang Oh seine Verweigerung. Dies hat weitere junge Männer dazu angeregt sich Gedanken darüber zu machen.

Mit mehr und mehr Kriegsdienstverweigerern haben wir uns gedacht, dass wir systematischer vorgehen müssen. Also entschieden wir uns ein Handbuch zu erstellen, um eine professionellere Hilfe und Beratung anbieten zu können. Viele sprachen uns an, nachdem sie das Handbuch gesehen haben, um mehr Informationen zu bekommen. Wir rieten ihnen immer, ihre Entscheidung nochmal gründlich zu überdenken. Normalerweise kann man davon ausgehen, dass es ernsthafte Probleme zwischen ihnen und ihren Familien geben wird, da es als eine Schande angesehen wird, den Kriegsdienst zu verweigern. Außerdem machen sich die Eltern Sorgen, wie ihre Söhne nach der Freilassung einen Job finden sollen. Hinzu kommt, dass ein 18 Monate langer Aufenthalt im Gefängnis nie einfach ist, besonders unter den schlechten Bedingungen in koreanischen Gefängnissen. Obwohl wir uns sehr sorgsam um die Leute gekümmert haben, haben manche im Laufe ihres Gerichtsverfahrens oder ihrer Gefangenschaft aufgegeben und ihre Entscheidung geändert. Diese Geschichten haben sowohl bei ihnen als auch bei uns einen bitteren Geschmack hinterlassen.

Im Sommer 2004, gleich nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass das bisherige Gesetz zum Militärdienst nicht verfassungswidrig sei, wurden die Gerichtsverfahren wieder aufgenommen und viele Kriegsdienstverweigerer kamen ins Gefängnis. Der Herbst 2004 war eine sehr deprimierende Zeit. Viele meiner nahen Freunde wurden ins Gefängnis gesteckt. Seitdem ist die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern ein sehr wichtiger Teil unserer Aktivitäten. Wir versuchten, enge Beziehungen zu allen Gruppen aufzubauen, die Verweigerer unterstützen, und wir schickten Informationen über andere Verweigerer und unsere Bewegung an die Inhaftierten, um sie auf dem Laufenden zu halten.

Es traten aber auch einige Probleme auf, als die Unterstützung von Verweigerern eine immer größere Bedeutung erlangte. Es waren normalerweise die Frauen, die die Verantwortung hatten, die Verweigerer zu betreuen. Es war schon wahr, dass nach den Verhaftungen mehr Frauen als Männer übrig blieben, aber es war auch so, das es als natürlich angesehen wurde, dass sich die Frauen um die Verweigerer kümmern - um die Männer. Bis jetzt haben wir keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Im Moment scheint dieses Problem jedoch weniger wichtig zu sein, denn es sind zur Zeit weniger Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis.

Bevor die USA 2003 in den Irak eingefallen sind, setzte sich unsere Organisation für die Einführung eines Ersatzdienstes ein. Manchmal behinderte uns diese Vorgehensweise jedoch selbst. Zum einen, weil Kriegsdienstverweigerer als arme Opfer unter der staatlichen Macht angesehen wurden, trotz der Tatsache, dass sie nicht dazu gezwungen werden, den Militärdienst zu verweigern, sondern es aus eigenem Willen machen. Zum anderen wurden sie für Helden gehalten, die sich direkt gegen die staatliche Macht stellen. Die Sache ist, dass beide Denkweisen der militaristischen Ideologie sehr nahe kommen, die wir doch ändern wollen. In diesem Sinne wurden Frauen leicht in eine unbedeutende und nebensächliche Rolle gesteckt. In meinem Fall erinnere ich mich an die Tage, als unsere Bewegung gerade anfing, an die Öffentlichkeit zu gehen, aber ich erhielt kaum die Möglichkeit, meine Meinung in Zeitungen oder öffentlichen Diskussionen zu vertreten, nur weil ich eine Frau bin. Ich war nicht willkommen, denn sie wollten nicht, dass eine Frau über die Armee redet, obwohl meine Position begründet war. Das zeigte genau und bewies, um was es beim Militär in Korea geht.

In der letzten Präsidentschaftswahl, im Winter (2007), ist ein Konservativer neuer Präsident von Korea geworden. Die neue Regierung zog den Vorschlag der vorherigen Regierung zur Einführung eines Ersatzdienstes zurück. Viele politische Richtlinien, die von der neuen Regierung vorgeschlagen werden, erinnern die KoreanerInnen an eine Militärdiktatur. Die Leute, die 2007 für ihn gestimmt haben, vom Geld und dem politischen Misstrauen besessen, bemerken nun, dass die Wahlversprechen des Präsidenten nicht für die Bevölkerung gedacht sind und gehen auf die Straße um zu protestieren.

Ich habe noch nie vorher eine solche große Masse auf den Straßen gesehen. Ich weiß nicht, wie die Menschen im Ausland über die Kerzenlicht-Demonstrationen gedacht haben. Ich bin mir sicher, das sie wie eine Schule waren, in der man Demokratie lernt. Wir versuchten, die Leute dazu anzuregen, darüber nachzudenken, wie sie sich selbst beschützen und mit der Polizei kommunizieren können, statt auf die Gewalt der Polizei mit Gewalt zu antworten.

Außerdem haben wir Flyer verteilt, in denen wir darauf hinwiesen, dass Polizisten das Recht haben, ungerechtfertigte Befehle zu verweigern. Ende Juli 2008 kontaktierte uns Lee Giljun, ein wehrpflichtiger Polizist, und sagte uns, dass er nicht mehr zu seinem Pflichtdienst zurückkehren wolle. Seine Erklärung hat viele Leute überzeugt, die vorher gegen ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung waren und jetzt dafür sind.

Ich denke ich habe mich stark verändert, seit ich vor acht Jahren in dieser Bewegung aktiv geworden bin. Ich glaube jetzt fest an die Kraft der Gewaltfreiheit, die nicht nur mich selbst dazu bringen kann friedfertiger zu leben, sondern auch soziale Systeme verändern kann.

Jungmin Choi: „Die KDV Bewegung hat mich verändert“. 1. Nov. 2008. Auszüge. Aus: Das zerbrochene Gewehr, Mai 2009, No. 82 (http://www.wri-irg.org/de/node/7460). Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juli 2009

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