Protestaktion in Sheikh Jarrah, Foto: Timo Vogt

Protestaktion in Sheikh Jarrah, Foto: Timo Vogt

Israel: "Ich verweigere den Einsatz in Gaza"

Reservist Yitzchak Ben Mocha erläutert seine Beweggründe

von Yitzchak Ben Mocha

(12.01.2009) Yitzchak Ben MochaVorletzten Samstag, abends um viertel nach Elf, kam der Anruf. Meine Freundin Nora und ich waren bei Freunden und verfolgten den Beginn der Bodenoffensive der IDF (Israelischen Verteidigungsarmee) in den Nachrichten. Die Bilder beschworen sofort Zorn und Trauer, vor allem jedoch Frustration und Angst in mir herauf. Frustration, weil Hunderte und Tausende von Menschen – PalästinenserInnen und Israelis – während der vergangenen acht Kampftage sinnlos getötet und verletzt worden waren. Angst wegen des vielen Bluts, das in den nächsten Tagen noch genauso sinnlos vergossen werden würde.

Doch dann klingelte mein Telefon und versetzte mich im Bruchteil einer Sekunde aus der Position des externen Beobachters wieder einmal in die des Beteiligten. Obwohl das Display „Nummer unbekannt“ angezeigte, wusste ich genau, wer zur dieser späten Stunde anrief. Nur wenige Minuten zuvor hatte einer unserer Freunde denselben Anruf bekommen. Eine automatische Ansage informierte mich über meine Noteinberufung und die Pflicht, mich am folgenden Morgen um 8:00 Uhr am angegebenen Ort einzufinden.

Wieder einmal musste ich meinen großen Rucksack packen. Währenddessen versuchte ich zu erraten, was der nächste Tag bringen würde. Warum wurde ich auch diesmal einberufen? Hatte ich nicht bereits klar und eindeutig erklärt, dass ich mich weigere, mich in irgendeiner Weise an der Besatzung und dem Kampf gegen das palästinensische Volk zu beteiligen? Würde meine Weigerung dieses Mal mit mindestens 28 Tage Haft enden? Oder würde ich ein weiteres Mal „wie durch ein Wunder“ nach Hause entlassen werden?

Am nächsten Morgen erschien ich pünktlich um 8:00 Uhr vor dem Offizier meiner Einheit und meldete mich zum Dienst. Als ich meine Ausrüstung abholen wollte, stellte sich heraus, dass mein Name auf keiner Liste stand und ich keiner Aufgabe zugeteilt worden war. Also wurde mir befohlen, mich an die Seite zu setzen und auf weitere Befehle zu warten. Ich wartete und wartete … und wartete. Alles in allem wartete ich zwei Tage lang, bis ich am Abend des zweiten Tags meinen ersten Auftrag erhielt: Ich sollte am nächsten Morgen Zelte für die Soldaten im Kampfeinsatz aufschlagen. Ich antwortete meinem Offizier: „Das werde ich nicht tun.“ Am folgenden Morgen wurde ich nach Hause geschickt. Man sagte mir, man werde mich wieder anrufen, wenn die Lage es erfordere. Bist jetzt haben sie sich nicht gemeldet … 

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In den Medien verkündet die IDF, dass sich mehr Soldaten zum Dienst melden als einberufen werden und dass sich selbst ehemalige Deserteure zum Dienst melden, die jetzt in die Armee zurückkehren und kämpfen wollen. Keiner dieser Berichte stimmt so ganz; doch sie schaffen den Eindruck, unter den Soldaten bestehe über die Rechtmäßigkeit des derzeitigen Kampfs gegen die Hamas in Gaza breiter Konsens und Zusammenhalt. Gleichzeitig sollen sie die Tatsache verschleiern, dass sich im Laufe der Jahre viele Soldaten geweigert haben und noch weigern, an den Kämpfen und der Fortführung der Besatzung teilzunehmen, deren Opfer in erster Linie die palästinensische Bevölkerung ist.

In der Vergangenheit hat die IDF gegen Personen, die den Dienst in der Armee aus Gewissensgründen verweigert haben einen erbitterten Kampf geführt. Sie hat gegen sie Disziplinarverfahren geführt und sie, in der Hoffnung ihren Willen zu brechen, oft viele Wochen lang eingesperrt. Die IDF musste jedoch feststellen, dass die Haft den Geist dieser Menschen nicht nur nicht brechen konnte, sondern sie im Gegenteil in ihrer Haltung gestärkt hat. Zudem hat das breite Echo, das ihre Geschichte in den Medien ausgelöst hat, ihre Botschaft verstärkt. Anscheinend hat die Armee aus diesem Grund im Umgang mit Verweigerern eine neue Strategie eingeschlagen: sie ignoriert, leugnet und verschleiert das Phänomen, um statt dessen eine Trugbild zu präsentieren, eine Realität, in der Ziel und Zweck des Armeedienstes wie auch der Armeedienst als solcher volle Unterstützung erfahren.

Die interessantere und entscheidende Frage ist und bleibt jedoch: Wie kommt ein Reservist einer Eliteeinheit der Fallschirmspringer, der drei Jahre regulären Armeedienst absolviert hat, zu der glasklaren Schlussfolgerung, dass es seine Pflicht ist zu sagen: „Schluss jetzt!“, dass es seine Pflicht ist, den Armeedienst zu verweigern?

Ich bin in die IDF eingetreten, weil ich Teil einer Armee sein wollte, die Israel verteidigt. Eine Armee, deren Aufgabe es ist, den Staat und seine Bürger gegen Terroristen und Terrororganisationen zu schützen. Nicht gegen das palästinensische Volk und seine Freiheitskämpfer, sondern gegen fundamentalistische Extremisten, denen es nicht um Frieden oder Freiheit geht, sondern um Blutvergießen und Krieg. Nicht gegen palästinensische Bauern, die gegen den unverhohlenen Raub ihrer Ländereien protestieren, sondern gegen jene, die wahllos Busse voller Männer, Frauen und Kinder in die Luft sprengen.

Ich war immer für Frieden und für ein Ende der Besatzung – auch als ich in die Armee eintrat. Doch damals, mit 18 Jahren, war ich noch naiv genug zu glauben, bis unsere politische Führung diplomatische Lösungen für den Frieden fände, sei es unsere Pflicht, in die Armee einzutreten und unsere Heimat zu verteidigen und zu beschützen. Das ist ein wesentliches Element der Demokratie: Manchmal müssen wir eine Entscheidung der Mehrheit umsetzen, auch wenn wir nicht mit ihr einverstanden sind.

Doch im Laufe meines Armeedienstes setzte sich in meinem Bewusstsein nach und nach die Erkenntnis durch, dass der Staat Israel weder dem Ende der Besatzung, noch dem Leiden eines ganzen Volkes, noch dem Leben der eingesetzten Soldaten auf politischer oder sozialer Ebene Priorität einräumt.

Vielleicht war es die Begegnungen mit Offizieren und Soldaten, die frohen Willens waren zu kämpfen (während andere ihn als letztes Mittel betrachteten). Vielleicht war es das Leiden der palästinensischen Bevölkerung, welches ich zum ersten Mal direkt erlebte. Vielleicht war es die Einsicht, dass die fortwährende Besatzung die Soldaten blind macht für den Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen dem, was erlaubt, und dem, was verboten ist. Vielleicht war es die Einsicht, dass die Ausübung von Gewalt und Unterdrückung gegenüber einem ganzen Volk zu nichts Gutem führen kann. Vielleicht war es die unverfrorene Ignoranz der israelischen Gesellschaft und ihrer politischen Führung gegenüber der folglich dringenden und sofortigen Notwendigkeit, die Besatzung, die Unterdrückung, das Kämpfen und das Blutvergießen auf beiden Seiten zu beenden. Und vielleicht waren es all diese Faktoren zusammen, die mich begreifen ließen, dass es meine Pflicht ist zu sagen „Schluss jetzt!“ „Schluss jetzt!“ zum Wohle des palästinensischen Volke, „Schluss jetzt!“ zum Wohle der israelischen Gesellschaft und ein weiteres großes „Schluss jetzt!“ zu meinem eigenen Wohl.

Mehr als vierzig Jahre lang haben die Gesellschaft und die Führung des Staates Israel eine klare und eindeutige Entscheidung über das Schicksal des palästinensischen Volks und die Zukunft der Besetzten Gebiete vermieden. Infolge dessen schicken sie ihre Söhne zu den Waffen – und machen sie zu Besatzern und Unterdrückern. Doch unter den jungen Generationen Israels scheint das Bewusstsein dafür zu wachsen, dass es sich nicht um einen weiteren Krieg handelt, „bei dem wir keine andere Wahl hatten" – wie die Kriege in den Geschichten, mit denen wir aufgewachsen sind. Sie begreifen, dass es bessere Methoden gibt, Konflikte beizulegen; und sie begreifen, dass gewaltsame Maßnahmen uns letztlich nur immer wieder auf den Ausgangspunkt zurückwerfen (wie sie es erlebt haben nach den Militäroperationen „Defensive Shield“, „Steadfast Way“ und vielen kleineren Militäroperationen, die – namen- und ergebnislos – durchgeführt wurden, „um die Infrastruktur des Terrors zu zerstören“). Die steigende Zahl der Verweigerungen – sowohl unter jungen Männern und Frauen, die noch nicht zur Ableistung des regulären Armeediensts einberufen wurde, als auch unter Reservisten – in der IDF zu dienen, solange diese der Umsetzung einer Besatzungspolitik dient, weist darauf hin, dass dieses andere Verständnis in der neuen Generation zunimmt. 

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Wie viele andere, die aus Gewissensgründen verweigern, bin ich kein Pazifist. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass es in unserer Welt nicht immer friedlich zugeht; deshalb ist es manchmal unvermeidlich, zum Zwecke der Selbstverteidigung auf gewaltsame Mittel zurückzugreifen. Mir ist auch bewusst, wie notwendig die Existenz einer Verteidigungsarmee für den Staat Israel ist. Aus diesem Grund haben einige von uns ihre Bereitschaft erklärt, an jedem Training teilzunehmen, solange es dazu dient, unsere Fähigkeit aufrechtzuerhalten, Teil dieser Verteidigungsarmee zu sein. Doch solange die Besatzung weitergeht, werden wir uns in keiner Weise an den Einsätzen der IDF beteiligen, weder in Zeiten des Krieges noch in Zeiten des Friedens, weder als Soldaten an der Front noch bei den Hilfstruppen im Hinterland.

Viele von uns sind Kämpfer geblieben, aber Kämpfer in einem anderen Kampf, im Kampf für den Frieden. Uns ist klar, dass die Bedeutung des Verweigerungsakts weit über die schlichte Tatsache hinausreicht, dass die IDF einen Soldaten weniger in ihren Reihen hat. Viel wichtiger ist, dass mit dem Akt der Verweigerung das Erwachen einer Generation öffentlich sichtbar und damit auch ein Blick auf eine andere Realität erlaubt wird. Wir wollen – der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft – eine andere israelische Realität vorschlagen: eine gesündere, mutigere, humanere Realität. Und während der letzten Jahre haben wir erfreut festgestellt, dass auf der palästinensischen Seite dieselbe Art des Erwachens und der Suche nach Alternativen stattfindet.

Yitzchak Ben Mocha: Why I refuse to fight in Gaza. ABC (Australien), 12. Januar 2009. http://www.abc.net.au/unleashed/stories/s2463599.htm. Aus dem Englischen von Endy Hagen

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